Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
seiner Familie zu haben. Da war nie eine Nachfrage oder ein Besuch,
das hat ihn traurig gemacht.« Heinrich präsentiert Rosmarie Gabathuler seine
Adresskartei. »Darin waren vielleicht hundert Namen und Telefonnummern, und er
meinte: ›Das sind alles meine Freunde.‹ Und dann sagte er: ›Aber eigentlich
habe ich keinen einzigen richtigen Freund.‹«
Lange bleibt
Kieber nicht mehr im Kinderheim. Sozialarbeiter Manfred Greiner hat ihm eine
Einzimmerwohnung im Süden von Vaduz vermittelt. Heinrich soll eine Ausbildung
bei Kurt Weilenmann beginnen, dem lokalen Mercedes-Händler in Schaan.
Weilenmann erinnert sich: »Das Lehrlingsamt rief an. Sie hätten da einen
kleinen Spezialfall, der im Kinderheim aufgewachsen sei – ob ich dem eine
Lehrstelle als Kaufmann bieten könne. Darauf antworte ich: ›Auch einer, der im
Heim aufwächst, kann eine kaufmännische Lehre machen.‹« Kieber stellt sich bei
Kurt Weilenmann vor, und er bekommt den Ausbildungsplatz.
Bevor
Heinrich Kieber das Kinderheim verlässt, möchte er sich aber noch bei der
Fürstin bedanken für ihre Hilfe, die ihm bei seiner Rückkehr aus Barcelona zuteil wurde : »Heinrich bat darum, einen Apfelstrudel
backen zu dürfen«, erzählt Heimleiterin Rosmarie Gabathuler. »Den hat er, schön
mit Puderzucker bestreut, auf einem Tablett hergerichtet und ein Tuch
darübergelegt und ist dann damit zu Fuß von Schaan bis zum Schloss. Er wollte
ihn der Fürstin selbst übergeben und war dann ein bisschen enttäuscht, als er
den Strudel beim Pförtner abgeben musste.«
Der neue Lehrling macht auf den
resoluten Kurt Weilenmann einen aufgeweckten Eindruck: »Er hat gerne geredet,
ist aber mit den Leuten so weit gut ausgekommen. Und er war sehr intelligent,
muss ich sagen, und er hat auch gute Noten aus der Berufsschule mitgebracht.«
Doch nach einem Jahr verliert Heinrich die Lust. »Er sagte mir, das gefalle ihm
doch nicht so gut, worauf ich ihm entgegnete, er müsse die drei Jahre
durchhalten, bis er einen Abschluss habe. ›Dann kannst du in so viele
Richtungen gehen.‹ Er sagte: ›Ja, ich möchte halt in die Welt hinaus, hier ist
es mir zu langweilig.‹« Dann solle er sich nach der Lehre eben bei Swissair
bewerben, schlägt Weilenmann vor, und Heinrich setzt die Ausbildung fort.
Der sonst so
gesprächige Heinrich Kieber hält sich seinem Lehrmeister gegenüber auffallend
zurück mit Informationen aus seinem Privatleben: »Das hat er abgeschirmt. Das
ist uns damals schon ein bisschen merkwürdig vorgekommen. Er hat nie erzählt,
was er übers Wochenende gemacht hat. Erst Jahre später habe ich erfahren, dass
er noch zwei Schwestern hat.«
Sein
Lehrlingslohn beträgt gerade mal 500 Franken. Das hält Heinrich Kieber nicht
davon ab, nach Spanien zu reisen, wie er berichtet: »In dem Jahr, in dem ich
achtzehn wurde, besuchte ich wieder Barcelona und lud zirka acht Personen zum
Essen ein – das Ritz dort ist natürlich überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Namensvetter in
Paris.« [8] Auch die Familie R. trifft Heinrich in Barcelona wieder. Um seiner Stippvisite
in Barcelona Gewicht zu verleihen, erzählt Helmut R., »ist Heinrich sogar mit
einem Leibwächter gekommen«. [9]
Tatsächlich
findet der inzwischen 21-jährige Heinrich Kieber 1986, nach Abschluss der
dreijährigen Lehre zum Kaufmann, eine Stelle als Mitarbeiter bei Swissair am
Flughafen Zürich. Bei der Fluggesellschaft ist er in der Abteilung für
Ertragssteuerung tätig.
Die Aufgabe
der Mitarbeiter im sogenannten Revenue Management besteht darin, die Auslastung
der Swissair-Flieger zu optimieren, so dass bei jedem Flug der höchstmögliche
Ertrag erwirtschaftet wird. Das erwartete Käuferverhalten wird mit Hilfe von
historischen Daten, bevorstehenden Feiertagen und aktuellen Ereignissen wie
Großveranstaltungen am Zielort berechnet und laufend der tatsächlichen
Nachfrage angepasst. Für den Schnell- und Vieldenker Heinrich Kieber ein
Traumjob, den er fast fünf Jahre lang ausüben wird.
1987 wohnt
Kieber in Oberglatt, einem kleinen Dorf direkt neben der Piste 16 des
Flughafens Zürich. [10] Sein Arbeitsweg ist kurz. Bei Swissair
sucht er den Kontakt zu anderen dort arbeitenden Liechtensteinern, so auch zu
der hübschen Flugbegleiterin Larissa Kaufmann: »Er hat mich ab und an in meiner
Wohnung in Kloten besucht, ist auf ein Schwätzchen vorbeigekommen. Einfach
aufgetaucht und wieder verschwunden. Einmal half er mir, günstig einen Flug für
meine Schwester zu organisieren.« Seinen
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