Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
Der Vater Helmut R. erinnert sich: »Heinrich hat meinem Sohn
erzählt, dass er bei seiner Tante, einer Nonne, im Kloster lebt. Mein Sohn hat
ihn dann öfters zum Essen mitgebracht. Uns sagte er, dass er der Sohn des
Industriellen Hilti aus Liechtenstein sei.«
Helmut R.
wird stutzig, als er hört, dass der angebliche Hilti-Sohn sich anderen
gegenüber mit dem Nachnamen Kieber vorstellt. Zur Rede gestellt, gibt der
zurück: »Das sei aus Sicherheitsgründen so. Kieber sei der Name seiner
Großmutter. Er sei viel zu gefährdet, wenn er unter dem Namen Hilti reise. Dies
war für uns nachvollziehbar.« [5]
Der vermeintliche
Hilti-Sohn ist fortan ein gerngesehener Gast bei Familie R. und wird nun
auch übers Wochenende ins Ferienhaus an der Küste eingeladen. Der elternlose
Heinrich verbringt fernab seiner Heimat glückliche Fernsehabende im Kreise der
Familie R. Gegenüber seiner Tante, der Ordensschwester Carmen, spricht er in
den höchsten Tönen von den Mitgliedern der Familie R. und nennt sie »seine
besten Freunde«. [6] Jahre später wird Heinrich Kieber dieses
Vertrauensverhältnis schamlos ausnutzen.
Über die
freundschaftliche Beziehung zu seiner Klassenkameradin Ruth B. lernt der junge
Liechtensteiner in Barcelona den wesentlich älteren Mariano M. kennen. Der
knapp fünfzigjährige Spanier ist Immobilienhändler und seit langem mit Familie
B. befreundet. »Sie haben mir Herrn Kieber vorgestellt, der sich als
Hauptaktionär und Erbe des multinationalen Konzerns Hilti präsentierte. Herr
Kieber machte keinen Hehl aus seiner Zuneigung zu Fräulein Ruth.« – Auch die
Begegnung mit Mariano wird für Heinrich Kiebers weiteres Leben folgenreich
sein.
Doch erst
einmal geht für den Siebzehnjährigen nach eineinhalb Jahren das Abenteuer
Barcelona zu Ende. Er begebe sich nach Costa Rica, erzählt Kieber Mariano M.
Sein Vater habe ihn dorthin entsandt, damit er sich um eine philanthropische
Organisation kümmere, mit der Hilti in Lateinamerika die Bildung der armen
Eingeborenen fördere. Der Liechtensteinische Entwicklungsdienst LED betreibt in
Costa Rica eine sogenannte Radioschule – ein Fernlernsystem, das Kindern und
Erwachsenen im Land zu Schulabschlüssen verhelfen soll. Tatsächlich, bestätigt
der langjährige Leiter des LED, Rudolf Batliner, steht Heinrich Kieber
plötzlich vor der Schule in Costa Rica: »Kieber tauchte irgendwann zwischen
1980 und 1985 in Costa Rica bei der Radioschule auf. Warum er überhaupt da war,
weiß ich nicht. Er hatte aber sicher nichts mit unserem Hilfsprojekt zu tun.«
Der wahre
Grund für Kiebers Abreise aus Spanien ist wesentlich prosaischer: »Weshalb ich
die Schule verlassen musste, war, dass meine Tante die Verantwortung über mich
nicht mehr übernehmen wollte. Unter anderem wurde ich erwischt beim unerlaubten
Fahren eines Pkws.« [7]
Mit Beginn des Jahres 1983 hat
das Ehepaar Rosmarie und Peter Gabathuler die Leitung des Kinderheims Gamander
in Schaan übernommen. Die junge Schweizer Sozialarbeiterin und ihr Mann sind
vollauf damit beschäftigt, in ihre neue Rolle als Heimeltern hineinzuwachsen
und die insgesamt acht Kinder näher kennenzulernen, als eines Abends im Januar
das Telefon klingelt. Rosmarie Gabathuler nimmt ab. Am anderen Ende meldet sich
Fürstin Gina von Liechtenstein und fragt an, »ob sie uns einen Jungen bringen
dürfe notfallmäßig, der sei soeben aus Spanien zurückgekehrt und könne nirgends
hin, und sie könne ihn nicht zu sich aufs Schloss nehmen. Fürstin Gina ist
dann«, erzählt Rosmarie Gabathuler, »mit ihrem Wagen vom Schloss Vaduz zum nahe
gelegenen Bahnhof im st. gallischen Buchs
gefahren und hat in ihrer Herzensgüte Heinrich dort abgeholt und zu uns
gebracht. Ich erinnere mich noch, dass sie ihre Hausschuhe trug, als die beiden
ankamen. Dann haben wir gemeinsam Kaffee getrunken. Sie hat ihm vermittelt,
dass er willkommen ist. Das war sehr schön von ihr.«
Heinrich
Kieber ist, zwei Monate vor seinem achtzehnten Geburtstag, mit Abstand der
älteste Heimbewohner, dennoch versteht er sich mit den kleinen Kindern im
Gamander gut. Rosmarie Gabathuler hat ihn als »warmherzig, fröhlich und oft
auch einfühlsam« in Erinnerung. »Von seiner Zeit in Spanien hat Heinrich nie
viel erzählt. Er hat überhaupt nicht viel über die Vergangenheit gesprochen.«
Auch über
die familiären Hintergründe Heinrich Kiebers erfährt Gabathuler nichts.
»Manchmal habe ich ihn bedrückt erlebt. Ich glaube, es beschäftigte ihn, keinen
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