Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
Reiches Deutscher Nation die Grafschaften zum reichsunmittelbaren
Fürstentum. Seither trägt es den Namen der Fürsten von Liechtenstein. Knapp
neunzig Jahre später wurde Liechtenstein als souveräner Staat im Rheinbund
aufgenommen, 1815 wurde es Mitgliedsstaat im Deutschen Bund. Und auch nach der
Auflösung des Deutschen Bundes 1866 blieb Liechtenstein souverän.
Zwei Jahre
später, 1868, wurde die liechtensteinische Armee, die aus einem
Truppenkontingent von 82 Mann bestand, aufgelöst. Der letzte liechtensteinische
Soldat ist Andreas Kieber, Ururgroßonkel von Heinrich Kieber.
Die Fürsten
von Liechtenstein leben bis zur Amtsübernahme von Fürst Franz Josef II. fernab
des kleinen, bitterarmen Ländchens, dessen Bevölkerung sich mehr schlecht als
recht zu ernähren vermag – sie residieren in Wien. Franz Josef II. ist der
erste Fürst, der am Vorabend des Zweiten Weltkriegs seinen Wohnsitz nach
Liechtenstein verlegt. Der Expansionsdrang Hitler-Deutschlands bedroht
zeitweilig auch die Existenz des kleinen Fürstentums.
Seit 1924
gehört Liechtenstein zum Zollgebiet der Schweiz. Der Zollvertrag mit dem Nachbarland
und die damit verbundene Übernahme des Schweizer Frankens als gesetzliche
Währung werden wesentlich zu Liechtensteins Aufstieg vom Armenhaus zum
reichsten Land Europas beitragen. 1926 trat das von findigen Juristen
entworfene liechtensteinische Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) in Kraft.
Damit werden Gesellschaftsformen wie die Stiftung, die Anstalt und das
Treuunternehmen geschaffen, die steuerlich privilegiert behandelt werden und
Anonymität garantieren. Mit Hilfe der neuen Rechtsformen sollen dem armen Staat
dringend benötigte Mittel zufließen. Liechtenstein, so der Plan, soll zu einem
internationalen Wirtschaftsstandort werden.
Nach dem
Zweiten Weltkrieg kommt für Liechtenstein die Zeit der Ernte. Aufgrund des
Zollvertrags mit der Schweiz und des Scheiterns der Anschlussbemühungen der
volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein übersteht das kleine Fürstentum den
Weltenbrand unversehrt. Mit dem Wirtschaftswunder entstehen in Deutschland neue
Vermögen. Eine Generation von Unternehmern – geprägt von zwei großen Kriegen,
von Geldentwertung und zwei Währungsreformen – traut dem Frieden nicht und
bringt Teile ihrer Vermögen in Sicherheit: in die Schweiz und nach
Liechtenstein, wo das Geld dank Bank- und Treuhändergeheimnis auch vor dem
Zugriff des deutschen Fiskus sicher ist.
Die Schweiz
und Liechtenstein sind beileibe nicht die einzigen Steuerparadiese auf der
Welt. Aber die deutschen Steuersünder haben besonderes Vertrauen in die beiden
politisch stabilen Nachbarn in den Alpen, die von Heilbronn, Ulm oder Erlangen
aus in einem Tagesausflug mit dem Auto erreichbar sind.
Die
Anonymität, die Liechtensteins Gesellschaftsrecht und die Treuhänder
garantieren, macht das Fürstentum auch für Kriminelle attraktiv. »Dank des Liechtensteiner
Wirtschaftsrechts können sich die Wirtschaftskriminellen fast nach Bedarf
tarnen und so bundesdeutschen Gläubigern und Staatsanwälten entkommen«,
schreibt der Spiegel im Jahr 1976. [1] Im liechtensteinischen
Öffentlichkeitsregister sind zu der Zeit bereits schätzungsweise 30 000
Briefkastenfirmen eingetragen – oder wie sie die Liechtensteiner vornehmer
nennen: Domizilgesellschaften. Stiftungen, Anstalten, Trusts also, die zwar in
Liechtenstein ihren Sitz haben, aber im Fürstentum selbst keine
Geschäftstätigkeit ausüben.
In den
siebziger Jahren nimmt das europäische Ausland auch zur Kenntnis, dass in
Liechtenstein offenbar die Wiege des Skisports stehen muss: Die
Geschwisterpaare Paul und Willi Frommelt und Hanni und Andreas Wenzel holen
olympische Medaillen, gewinnen Weltcuprennen, räumen den Gesamtweltcup ab und
fahren bei den Ski-Weltmeisterschaften aufs Podest. Die deutschen Staatsbürger
Hanni und Andreas Wenzel werden kurz vor der Ski-WM 1974 in St. Moritz in
Liechtenstein eingebürgert.
In
Deutschland assoziiert man mit Liechtenstein derweil die Stichworte
»Fürstenfamilie« und »Briefmarken«; darüber hinaus wird es als »nettes
Urlaubsgebiet« geschätzt. So das Ergebnis einer Umfrage des Instituts für
Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 1977. Diese
Einschätzung wird bis zur nächsten Befragung neunzehn Jahre später verblassen.
Stattdessen bringen die befragten Deutschen 1996 weit häufiger Begriffe wie
»niedrige Steuern, Steuerparadies«, »Briefkastenfirmen« oder auch
»Steuerflucht« mit dem Namen
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