Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
liechtensteinischen Gemeinde Mauren,
einem Dorf mit gerade mal 1 500 Einwohnern, das im Norden an die
österreichische Stadt Feldkirch grenzt. Für die Städterin aus Spanien ist
Mauren ein Kulturschock: »Mauren war damals, vor fünfzig Jahren, schon ein
wenig rückständig. Nebenan wohnte der Schwiegervater, und nach außen durfte man
nicht sagen, dass da was nicht funktioniert in der Familie«, erzählt Guntram
Vetter. »Alles musste heile Welt sein.«
Die
Beziehung des Ehepaars Kieber verschlechtert sich zusehends. Daran ändern auch
die Geburt der Zwillingsschwestern im Jahr 1963 und die Heinrichs am
30. März 1965 nichts. Guntram Vetter erlebt das als Nachbar der Familie
hautnah. Eines Tages in den frühen siebziger Jahren eskaliert die Situation:
»Da standen die Kieber-Kinder bei mir im Hausgang, samt Koffer. Die Mutter hat
sie da abgestellt. Ich rief Heinrichs Vater an, der arbeitete damals bei der
Firma Hilti, und sagte ihm, er müsse schon selbst für seine Kinder sorgen.
Zwei, drei Tage später waren sie dann im Heim.«
Und dort
bleiben die drei auch. Die Mutter verlässt Liechtenstein in Richtung Schweiz.
Und »der Vater hat sich praktisch nicht mehr um die Kinder gekümmert«, sagt
Guntram Vetter. »Wie ich das beurteile, hatten sie ein sehr schlechtes
Verhältnis. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Vater die Kinder mal an
einem Sonntag abgeholt hätte. Ich sah sie jedenfalls nie mehr in Mauren.«
Im Kinderheim Gamander wächst
Heinrich Kieber auf und bleibt dort, bis er mit sechzehn Jahren die Schule
abschließt. Es ist das einzige Heim in Liechtenstein und bietet Platz für bis
zu achtzehn Kinder. Gut versteckt liegt es am Rande der Gemeinde Schaan: das
letzte Haus an der Straße, die die Berge hoch ins kleine Dorf Planken führt,
direkt am Wald gelegen.
»Die Buben
haben mal im Wald oben Benzin in den Bach geschüttet und angezündet«, erinnert
sich eine Mitarbeiterin des Heims. »Aber insgesamt haben sie nicht mehr und
nicht weniger Unsinn angestellt als andere in dem Alter. Heinrich war ein sehr
anhängliches Kind, eines, das man einfach mögen musste, so wütend er manchmal
auch sein konnte. Er hatte diesen Lausbubencharme und konnte in zehn Minuten
mehr erzählen als andere in einem ganzen Tag.« Alle drei Kieber-Kinder hätten,
so die Heim-Mitarbeiterin, um Aufmerksamkeit gekämpft, besonders Heinrich: »Es
war ihm egal, wie man sich mit ihm beschäftigte – positiv oder negativ –
Hauptsache, man beschäftigte sich mit ihm. Beim Essen hatte er immer das
Gefühl, er werde benachteiligt, und schlang alles in Rekordzeit runter.«
Während der
Jahre im Heim baut der junge Heinrich eine enge Beziehung zu Fürstin Gina von
Liechtenstein auf. Als Schirmherrin des Heims nimmt sich die geborene Gräfin
von Wilczek der Bewohner an. Sie kommt regelmäßig zu Besuch, nicht nur zu
Weihnachten, hört sich die Sorgen der Kinder an, spielt mit ihnen und bleibt
auch mal zum Abendessen.
Heinrich
teilt sich sein Zimmer auf der ersten Etage mit Christian Nosch *.
Fast wöchentlich sei die Fürstin zu ihnen gekommen, erinnert sich der. »Sie war
für uns wie eine zweite Mutter.« Auch Onkel Guntram Vetter, der in Vaduz ein
Delikatessengeschäft betreibt, entgeht das besondere Verhältnis nicht: »Ich
weiß noch, wie die Fürstin einmal in den Laden kam, als Heinrich zu Besuch war.
Wie ein eigenes Kind hat sie mit ihm gesprochen.«
Fürstin Gina
ist bei ihren Untertanen außerordentlich beliebt und wird als Landesmutter
verehrt. Die in Graz geborene Tochter von Ferdinand Graf Wilczek hatte 1943 im
Alter von 21 Jahren Liechtensteins Regenten Fürst Franz Josef II. geheiratet
und wurde damit Fürstin von Liechtenstein. Die Herzen der Liechtensteiner
eroberte die junge Monarchin mit ihrem liebevollen und ehrlichen Engagement für
die Schwachen und sozial Benachteiligten. Nach dem Krieg gründete sie das
Liechtensteinische Rote Kreuz (LRK), dem sie auch als Präsidentin vorsteht. Das
LRK betreibt unter anderem auch das Kinderheim Gamander.
Ihr Mann,
Fürst Franz Josef II., herrscht seit 1938 über das kleine Fürstentum am
Alpenrhein: 160 Quadratkilometer, eingequetscht zwischen Österreich und der
Schweiz. Die besondere Stellung verdankt Liechtenstein der europäischen
Geschichte: Hervorgegangen ist das Fürstentum aus dem Kauf der Herrschaft
Schellenberg und der Grafschaft Vaduz zu Beginn des 18. Jahrhunderts durch
die Fürsten von Liechtenstein. 1719 erhob Kaiser Karl VI. des Heiligen
Römischen
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