Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
Liechtenstein in Verbindung. [2]
Das kleine
durch und durch katholische Liechtenstein hat Mitte der siebziger Jahre rund
24 000 Einwohner, davon leben rund 4 500 in der Hauptstadt Vaduz, der
größten der elf liechtensteinischen Gemeinden. 1972 wird in Liechtenstein die
erste Rolltreppe in Betrieb genommen, die ins Untergeschoss des kleinen
Einkaufszentrums Kaufin in der Gemeinde Schaan führt.
Ein Jahr später wird die erste Lichtsignalanlage aufgestellt und beginnt den
Straßenverkehr im Zentrum von Schaan zu regeln. Seit Juni 1974 ist die
Ehescheidung möglich. Bis zur Einführung des Frauenstimmrechts auf Landesebene
dauert es noch bis 1984.
In den
siebziger Jahren arbeiten bereits deutlich weniger als zehn Prozent der
Arbeitnehmer in der Landwirtschaft. Etwas mehr als ein Drittel ist im
Dienstleistungssektor tätig. Weit über fünfzig Prozent sind in der Industrie
tätig. Das führende Liechtensteiner Industrieunternehmen ist die Hilti AG, die
Bohrmaschinen und Befestigungstechnik für den professionellen Markt entwickelt
und herstellt. Die von dem Liechtensteiner Martin Hilti während des Zweiten
Weltkriegs gegründete Firma ist zu diesem Zeitpunkt bereits Weltmarktführer,
setzt 1975 über 600 Millionen Schweizer Franken um und beschäftigt weltweit
6 300 Mitarbeiter. Allein in Liechtenstein arbeiten rund 1 100
Menschen bei Hilti. Einer davon ist Heinrich Kiebers Vater.
Heinrich
lebt, auch als er 1977 mit zwölf Jahren auf die weiterführende Schule wechselt,
noch immer im Kinderheim Gamander. Bei seinen neuen Klassenkameraden ist der
Junge populär. »Ich hatte nicht das Gefühl, dass er in der Schule ein
Außenseiter war«, sagt Anna Hämmerle*, die mit Heinrich Kieber zur Schule ging.
»Er war immer der Clown und suchte die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wo
Heinrich dabei war, war es immer lustig.«
Dass er im
Kinderheim aufwächst, behält er für sich. Stattdessen erfindet er sich eine
passende Familie. Ganz in der Nähe des Schulzentrums Mühleholz in Vaduz, das Heinrich
Kieber besucht, liegt das Hotel-Restaurant Mühle . Seinen Mitschülern erklärt
er, sein Vater sei dessen Inhaber. »An einem Nachmittag nach der Schule hat er
uns ins hoteleigene Hallenbad zum Schwimmen eingeladen«, erzählt Kiebers
Klassenkamerad Walter Schneider*. »Wir sind dann zu viert oder fünft hoch zur Mühle , der
Heinrich voran, bis zum Eingang. Dort bat er uns zu warten, er müsse erst
seinen Vater fragen, ob das okay sei. Nach einer Weile ist er wieder
rausgekommen und sagte, wir müssten das Baden verschieben, das Hallenbad werde
gerade renoviert.«
Seinem
Klassenkameraden Tobias Sele * schuldet Heinrich
Kieber bis heute fünf Franken: »Es muss am letzten Schultag der neunten Klasse vor
den Osterferien gewesen sein. Da mussten wir die Schlüssel für die Spinde
abgeben. Wir standen an, Heinrich vor mir. Er war an der Reihe und drehte sich
zu mir, um zu fragen, ob ich ihm nicht fünf Franken leihen könnte. Den
Fünfliber musste Heinrich zahlen, weil er seinen Spindschlüssel verloren hatte. Er versprach, dass ich das Geld gleich wiederkriege. Fünf
Franken waren für mich Fünfzehnjährigen damals viel Geld. Nach der Schule bin
ich mit Heinrich mit, fragte, wann ich es wiederkriege. Er sagte: ›Bald, mach
dir keine Sorgen!‹ Dann ließ er sein Mofa an und gab Gas. Ich bin ihm mit dem
Fahrrad die zwei Kilometer hinterher bis ins Dorf rein. Heinrich fuhr bis zur
LGT Bank in der Vaduzer Herrengasse, damals hieß sie noch Bank in
Liechtenstein. Dort stellte er sein Mofa ab und ging in die Schalterhalle. Da
dachte ich, dass er Geld abhebt und ich nachher meine fünf Franken kriege. Als
er rauskam, sagte er, er könne mir den Fünfliber nicht geben, er habe nur
spanische Peseten. Und er zeigte mir sein Portemonnaie. Da waren wirklich nur
Peseten drin, viele Peseten.« Anschließend schwingt sich Kieber aufs Mofa und
lässt den verdutzten Sele vor der Bank stehen.
Nach den
Osterferien im Jahr 1981 soll Heinrich Kiebers neues Leben außerhalb des
Kinderheims beginnen: Eine Pflegefamilie soll den Jungen aufnehmen, und eine
Lehrstelle wartet auch auf ihn. Auf ein neues Leben hat der Sechzehnjährige
große Lust – aber nicht auf Lehre und Pflegefamilie. Mit den abgehobenen
Peseten im Gepäck haut er ab in Richtung Süden. Er knattert mit seinem Mofa,
das für eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Kilometern pro Stunde zugelassen ist,
über die Alpen und das Mittelmeer entlang bis nach Spanien – eine Strecke
von
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