Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
dass
wegen einer Computerumstellung heute leider »keine Kon-
toauszüge am Automat« erhältlich seien, brennt es einem in
den Augen. Wenn der Komiker im Fernsehen freimütig be-
richtet, wie er sich letztens wieder »zum Idiot gemacht«
habe, kribbelt es einem in den Ohren. Wenn eine Illustrierte
»neue Enthüllungen über den norwegischen Prinz« ver-
spricht, bekommt man schon rote Flecken, und wenn kleine
handgeschriebene Kärtchen an hübsch verpackten Ge-
schenken verkünden, dies sei »für den Konfirmand«, dann
wird der Juckreiz unerträglich.
Kennen Sie jemand, der sich von niemand beugen lässt?
Das wäre − in grammatischer Hinsicht − keine gewinnbrin-
gende Bekanntschaft. Sollten Sie aber jemanden kennen,
der niemandem einen Ge-Fall-en ausschlägt, dann dürfen Sie
sich glücklich schätzen. Der Verzicht auf die Endung bei
»jemand« und »niemand« im Dativ und im Akkusativ ist
heute nahezu selbstverständlich. Und er hat bereits so lange
Tradition, dass er mittlerweile von den Grammatikwerken
gebilligt wird. Nicht gebilligt werden hingegen »Neue Er-
kenntnisse über den Höhlenmensch«, »Fotografien vom
Planet Erde« und schon gar nicht die »Jagd auf den letzten
Leopard«. Zu wünschen wäre vielmehr, dass, solange noch
Menschen auf diesem Planeten leben, sie sich für den Leo-
parden und andere bedrohte Arten einsetzen und den Kasus
Verschwindibus bekämpfen werden.
Am schlimmsten bedrängt vom Kasus Verschwindibus ist
der Genitiv, und zwar bei Fremdwörtern männlichen und
sächlichen Geschlechts. Viele scheinen zu glauben, man kön-
ne auf die Genitivendung verzichten; so mancher hält ihre
Verwendung gar für falsch. Und so kommt es zu Ausstellun-
gen über »Die Kulturgeschichte des Kaffee« (statt des Kaf-
fees) und zu Büchern über »Die Geheimnisse des Islam«
(statt des Islams). Man liest vom »Vorsitzenden des Komi-
tee« und studiert das »Programm des diesjährigen Festival«.
Und immer wieder hört man von den »Terroranschlägen des
11. September«, statt »des 11. Septembers«. Wenn man die
Verursacher des September-s-Wegfalls fragt, was sie dazu
veranlasst habe, so antworten die meisten, die Form ohne
»s« klinge in ihren Ohren »irgendwie richtiger«. Begründun-
gen, die das Wort »irgendwie« enthalten, die also irgendwie
so aus dem Bauch heraus entstanden sind, sind irgendwie
nicht richtig überzeugend. Natürlich muss es »des 11. Sep-
tembers« heißen, was sollte am Weglassen eines Schluss-
laut elegant sein? (Wenn Sie eben zusammengezuckt sind
und denken: Es muss doch »Schlusslautes« heißen, dann ist
das der beste Beweis.) Der Verzicht auf die Genitivendung
bei Fremdwörtern wird vom Duden als falsch bezeichnet.
Zum Glück! Sonst wäre dieses Buch nämlich kein Beitrag zur
Rettung des Genitivs, sondern höchstens einer »zur Rettung
des Genitiv«.
Und das wäre nicht genug! Denn der Genitiv braucht jede
verfügbare Hilfe, um die Ausbreitung des Kasus Verschwin-
dibus einzudämmen. Sonst steht er irgendwann völlig nackt
da. Dann ist es »in den Weiten des Orient« genauso öd und
leer wie »am Rande des Universum«.
Und ein bisschen mehr Beugungen wünscht man sich auch
für die anscheinend endlose und vor allem endungslose
»Erfolgsgeschichte des Kerpener vom Kart-Pilot zum Top-
Favorit des deutschen Motorsport«. Wo der kassierte
Kasus grassiert, wird man früher oder später des Wahnsinn
fette Beute.
Beugt sich der Herr zum Herrn oder zum Herren?
Frage einer Schülerin aus Buxtehude: Als künftige
Dame wüsste ich gern rechtzeitig, wie »der Herr« korrekt ge-
beugt wird. Heißt es »des Herrn« oder »des Herren«? Dient
der Diener einem Herrn oder einem Herren? Erhebt sich der
Sklave gegen seinen Herrn oder gegen seinen Herren? Oder
spielt der Unterschied womöglich keine Rolle?
Antwort des Zwiebelfischs: Der kleine Unterschied zwischen
»Herrn« und »Herren« spielt eine große Rolle. Die Endung
verrät, ob wir es mit einem Herrn oder mit mehreren Herren
zu tun haben. Der Herr lässt sich in der Einzahl außer einem
»n« nichts anhängen:
Was wünscht der Herr? (Nominativ)
Dort steht das Gepäck des Herrn von Zimmer 307 (Genitiv)
Bitte geben Sie dem Herrn diesen Brief von mir. (Dativ)
Fragen Sie den Herrn dort drüben! (Akkusativ)
Die Formen auf -en markieren die Mehrzahl:
Was wünschen die Herren ? (Nominativ)
Dort steht das Gepäck der Herren von Zimmer 307. (Genitiv)
Bitte
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