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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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sieht immer so traurig drein«, sagt der Sohn
    voller Mitgefühl, »der kann einem richtig Leid tun!« − »Er
    würde sich bestimmt wohler fühlen, wenn es jemanden geben
    würde, der sich mit ihm unterhalten würde«, sagt der Vater.
    Daraufhin stößt der Konjunktiv einen herzerweichenden
    Klagelaut aus. Der Sohn nickt und sagt: »Vielleicht fühlte er
    sich tatsächlich wohler, wenn es jemanden gäbe, der sich mit
    ihm unterhielte.« Da hebt der traurige Konjunktiv den Kopf,
    schaut den Jungen an und lächelt dankbar.
    »Eine hübsche Geschichte«, sagt mein Freund Henry, »aber
    mich stört das Happy End. Das ist mal wieder typisch für
    deine Gefühlsduselei, geht aber an den Realitäten völlig
    vorbei. Tatsache ist doch: Der Konjunktiv ist vom Ausster-
    ben bedroht. Er liegt quasi in den letzten Zügen. Wenn du
    beschrieben hättest, wie Vater und Sohn vor einem leeren
    Käfig stehen, weil der Konjunktiv vorige Woche gestorben
    ist, dann wäre die Geschichte glaubwürdiger.« Ich bin nicht
    immer Henrys Meinung, manches sieht er ein wenig zu

    drastisch, aber in einem Punkt hat er Recht: Der Konjunktiv
    macht keine großen Sprünge mehr.
    Dabei kann man nun wirklich nicht behaupten, der Kon-
    junktiv sei eine unbedeutende Randerscheinung in der
    deutschen Sprache. Die Grammatikwerke widmen ihm sei-
    tenlange Kapitel mit zahlreichen Unterkapiteln und weisen
    ihm nicht weniger als drei wichtige»Funktionsbereiche « zu,
    in denen er zum Einsatz kommt.
    Da wäre zum einen der »Wunsch«-Bereich (»Er lebe
    hoch!«, »Mögest du hundert Jahre alt werden!«), zum zwei-
    ten der Bereich des Unmöglichen und des Unter-bestimm-
    ten-Bedingungen-doch-Möglichen, auch Irrealis genannt
    (»Ich an deiner Stelle hätte es anders gemacht«, »Wir wären
    schneller fertig, wenn du mal mit anfassen würdest!«), und
    zum dritten der Bereich der indirekten Rede.
    Der Bereich »Wunsch«, der auch jede Form der Auffor-
    derung mit einschließt, ist noch relativ überschaubar und
    verursacht nicht allzu große Probleme. Man braucht nur ein
    Kochbuch aufzuschlagen, schon steckt man mittendrin:
    »Man nehme drei Eier, schlage sie auf, trenne das Eiweiß
    vom Dotter und gebe das Eiweiß in einen sauberen, fett-
    freien Rührtopf.«
    Der zweite Bereich hingegen ist alles andere als über-
    schaubar. Dort hat man es zudem nicht nur mit einer Form
    des Konjunktivs zu tun, sondern gleich mit zweien. Man
    unterscheidet zwischen Konjunktiv I (er habe, sie sei, du
    werdest) und Konjunktiv II (er hätte, sie wäre, du würdest).
    Der Konjunktiv II ist immer dann gefragt, wenn es gilt, et-
    was Hypothetisches zum Ausdruck zu bringen (»Hätte ich
    deine Figur, könnte ich alles essen, was ich wollte!«), einen
    irrealen Vergleich anzustellen (»Sie tut ja gerade so, als ob sie
    schüchtern wäre!«) oder Zweifel anzumelden: »Zwar

    hieß es, die Polizei hätte jeden Winkel im Umkreis von zehn
    Kilometern abgesucht, aber die Angehörigen gaben sich

    damit nicht zufrieden und machten sich selbst auf die Su-
    che.«
    Eine nach wie vor wesentliche Rolle kommt dem Kon-
    junktiv in der indirekten Rede zu. Tagtäglich sind im
    deutschsprachigen Raum ganze Heerscharen von Journalis-
    ten damit beschäftigt, die Worte von Politikern, Managern,
    Prominenten und Sachverständigen in indirekte Rede um-
    zuschreiben, und dabei wird aus jedem Indikativ (»Ich bin
    überzeugt, dass wir dieses Spiel gewinnen werden!«) ein
    Konjunktiv (»Er sagte, er sei überzeugt, dass seine Mann-
    schaft dieses Spiel gewinnen werde.«). Da die Arbeit von
    Journalisten zum überwiegenden Teil darin besteht, die
    Worte von anderen mit ihren eigenen wiederzugeben, wim-
    melt es in Nachrichtentexten von Konjunktiven. Ich bin fast
    sicher, wenn Sie eine Zeitung nähmen und diese ausschüt-
    telten, so fielen mehr Konjunktive als Indikative heraus. Die
    Beherrschung des Konjunktivs ist daher eine wesentliche
    Voraussetzung für eine Laufbahn im Journalismus. Oder −
    konjunktivisch ausgedrückt − sie sollte es sein.
    Henry überrascht mich gelegentlich mit ganz erstaunli-
    chen Formulierungen. Da sitzen wir zusammen im Cafe und
    unterhalten uns über einen gemeinsamen Freund, und
    plötzlich sagt er: »Säßen wir jetzt nicht hier bei Kaffee und
    Kuchen, riefe ich ihn sofort an.« Zweimal Konjunktiv II in
    einem gesprochenen Satz! Mir fällt vor Begeisterung die Ku-
    chengabel aus der Hand. »Du meinst, würden wir jetzt nicht
    hier sitzen, würdest du ihn sofort

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