Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
man hört ihn nicht.
Solange man also nur plaudert und plappert, lässt sich jede
»das/dass«-Schwäche verbergen. Erst wenn’s ans Schreiben
geht, zeigt sich, ob man den Stiel vom Stängel unterscheiden
kann. Doch selbst routinierte Schreiber und Literaten haben
mitunter ihre liebe Not damit. Sogar den Argusaugen
erfahrener Lektoren und Korrekturleser entschlüpft das
glitschige Detail bisweilen, sodass es immer wieder zu
gedruckten Aussagen kommt wie dieser:
»Heino gab Siegfried ein geweihtes Medaillon des heiligen
Paters Pio für dessen Freund Roy, dass den Zauberer bei sei-
nem Heilungsprozess unterstützen soll.«
Rührend zwar, diese selbstlose Weihegabe Heinos, doch
falsch das »dass« hinterm Komma. Dabei ist es im Grunde
ganz einfach. Trotzdem geraten »dass« und »das« immer
wieder durcheinander, so wie auch in diesem Beispiel:
»Bislang galt die Lehrmeinung, das die Natur diesem Säu-
reangriff nicht hilflos gegenübersteht. Tatsächlich wirkt
Speichel wie ein natürlicher Verdünner für die Säuren und
kann ihr Erosionspotenzial herabsetzen.«
Obacht, der Text geht noch weiter:
»Speichel und gewisse Nahrungsmittel wie etwa Milch und
Käse enthalten auch Kalzium und Phosphor, sodass man
bisher davon ausging, dass diese Mineralien den erweichten
Zahnschmelz wieder remineralisieren, dass heißt, diesen
wieder härten.«
Nachdem der Verfasser zu Beginn eindeutig zu geizig mit
dem Doppel-»s« umgegangen ist, sind zum Schluss des Ab-
satzes offenbar die Gäule mit ihm durchgegangen. Dass das
nicht»dass heißt« heißt, sondern dass das»das heißt« heißt,
liegt daran, dass wir es beim »das« mit einem Pronomen zu
tun haben.
Das einfache »das« ist schon für sich allein genommen
sehr vielseitig. Es kann sächlicher Artikel sein (»das Ding«,
»das Zauberbuch«, »das Universalgenie«), es kann Demons-
trativpronomen sein und für »dies« oder »dieses« stehen
(»Das wünsch ich dir«, »Das war hervorragend!«, »Kennst
du das auch?«), und es kann als Relativpronomen fungieren,
gleichbedeutend mit »welches«: »Ein Thema, das alle gleich-
ermaßen interessiert, gibt es nicht«, »Nicht alle asiatischen
Länder sind so gut dran wie Japan, das zu den sieben reich-
sten Industrienationen der Welt zählt«.
Wann immer man also anstelle von »das« auch »dies« oder
»welches« sagen könnte, ist es ein Pronomen und wird genau
wie der Artikel nur mit einem »s« geschrieben. Im Land der
Schwaben kennt man noch eine andere Faustregel: Wann
immer man auf Schwäbisch »des« sagen kann, schreibt man
»das«, ansonsten »dass«: »Dass des so schwer sei soll, des
versteh inet!«
»Das Hubble-Weltraumteleskop hat in Hunderten von
Erdumrundungen ein Bild aufgenommen, dass das Weltall in
seiner frühen Jugend zeigt.«
Richtig oder falsch? Richtig ist, wenn Sie auf »falsch« ge-
tippt haben! Denn hier könnte man auch sagen:»... ein Bild
aufgenommen, welches das Weltall in seiner frühesten Ju-
gend zeigt.« Und damit ist klar, dass es sich bei dem ersten
»das« um ein Pronomen handelt.
Hieße der Satz aber so: »Mit Hunderten von Bildern hat
das Hubble-Weltraumteleskop bewiesen, dass das Weltall in
seiner frühen Jugend sehr viel dichter war als heute«, dann
wäre das »dass« korrekt, denn dann handelt es sich um eine
Konjunktion.
Eine Konjunktion ist ein »Bindeglied«, ein Wort, das (=
welches) Satzteile oder Sätze miteinander verbindet. Die
berühmteste Konjunktion ist »und«, über den verbindenden
Charakter dürften keine Zweifel bestehen. Neben »und« gibt
es mindestens drei Dutzend weiterer Bindewörter, und
»dass« gehört dazu.
Die verwirrende Gleichheit zwischen der Konjunktion und
dem Pronomen ist übrigens keinesfalls ein exklusives
Phänomen der deutschen Sprache. Auch in anderen Sprachen
spielen kleine Wörtchen eine solche Doppelrolle. Doch das
Deutsche scheint die einzige Sprache zu sein, die zwischen
der Konjunktion und dem Pronomen eine ortho-grafische
Unterscheidung vornimmt. Im Englischen gibt es »that« und
»that«, im Niederländischen »dat« und »dat«, im
Französischen »que« und »que« − jeweils als Konjunktion
und als Relativpronomen, jeweils gleich ausgesprochen und
gleich geschrieben.
Manch einer hatte gehofft, der Unterschied zwischen dem
Pronomen »das« und der Konjunktion »dass« würde mit der
Rechtschreibreform abgeschafft. Doch das war nicht der
Fall. Der
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