Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod 2
ich nicht! Clara sollte
doch erst in Folge 51 wieder laufen können. Warum hält sich
denn hier niemand ans Drehbuch? Und warum bin ich im-
mer die Einzige, die fehlerfreies Deutsch spricht?
In diesem Moment löst sich ein Balken aus der Studiodekora-
tion.
Heidi: Vorsicht, Fräulein Rottenmeier, der Balken dort fällt
gleich hinab!
Fräulein Rottenmeier: Adelheid! Hast du es denn immer
noch nicht begriffen? Nur wenn etwas von dir aus gesehen
nach unten fällt, dann fällt es hinab. Wenn aber etwas von
oben auf dich fällt, dann fällt es...
Der Balken fällt herunter, trifft Fräulein Rottenmeier und
wirft sie zu Boden.
Fräulein Rottenmeier (stöhnend):... auf mich herab!
An dieser Stelle bricht die Aufzeichnung ab. Aufgrund des
chaotischen Drehverlaufs und vielleicht auch wegen der allzu
nervenden Besserwisserei Fräulein Rottenmeiers wanderte die
Folge unvollendet und ungezeigt ins Archiv. Die Zuschauer
sahen stattdessen eine Folge, in der Heidi, Clara und Peter
einen glücklichen Tag auf der Almwiese verbringen. Dabei
geht es um Freundschaft und Mut, um Vertrauen und die
Überwindung von Angst, aber um Adverbien geht es nicht.
Und dies entspricht auch der Wirklichkeit, denn die Un-
terscheidung zwischen »hin« und »her« wird selten so genau
genommen wie in der oben zitierten Zeichentrickepisode. Im
wahren Leben spielt der Unterschied oft keine Rolle mehr.
Dabei hat Claras Gouvernante (so unangenehm sie uns auch
erscheinen mag) prinzipiell Recht. »Her« kennzeichnet die
Richtung auf den Sprecher zu, »hin« markiert die Richtung
vom Sprecher weg. So erklärt es auch der Duden. Darum
heißt es auch »Komm her zu mir!« und nicht »Komm hin zu
mir!« und entsprechend »Geh zu ihm hin« und nicht »Geh
zu ihm her!«
Der Vogel, der aus dem Nest gestoßen wird, fällt − vom
Nest aus gesehen − aus dem Nest heraus. Aus Sicht des Igels
unten im Gras fällt der Vogel aus dem Nest heraus. Sofern
Igel derlei Vorgängen in der Natur überhaupt Beachtung
schenken.
Der Vogel selbst denkt während des Falles: »Ach du
Schreck, jetzt bin ich hinausgefallen«, und nachdem er un-
ten im Gras gelandet ist, kann er dem Igel berichten, er sei
aus dem Nest herausgefallen. Es kommt also auf die Rich-
tung an − und auf den Blickwinkel.
Dies gilt allerdings nicht für Verben, die im übertragenen
Sinn gebraucht werden. Sie werden durchgehend mit »her«
gebildet: über jemanden herfallen, auf jemanden hereinfallen,
für etwas herhalten, etwas herunterspielen.
In der norddeutschen Umgangssprache entfällt die Unter-
scheidung zwischen»hin«und»her« komplett, da gibt es nur
noch »her-«, und das auch nur in verkürzter Form: »Komm
doch mal rüber« (= herüber), »Lass uns reingehen!« (= hin-
eingehen), »Bleib, wo du bist, Liebling, ich komme runter!«
(= herunter), »Da geht’s in den Keller runter!« (= hinunter).
In Süddeutschland hingegen wird die Unterscheidung
zwischen »hin« und »her« selbst in der verkürzten Form der
Umgangssprache noch vorgenommen: Die Nachbarsleute
kommen rüber (= herüber), aber man geht zu ihnen ‘nüber (=
hinüber), der Wanderer kommt zu uns rauf(= herauf), und er
steigt den Berg ‘nauf (= hinauf).
Jawohl, ihr lieben Preiß’n, da staunt ihr, ausgerechnet die
Bayern zeigen euch hier, wo’s sprachlich langgeht. Genauer
gesagt: wo’s ‘naufgeht und wo’s runtergeht mit den Adver-
bien. Die Bayern und die Österreicher kennen übrigens auch
noch die Wörter »herunten«, »heroben«, »herinnen« und
»heraußen«, die allerdings nichts mit den hier beschriebenen
richtungweisenden Adverbien zu tun haben. Das »her« steht
in diesen Fällen für »hier«, »herunten« ist also eine verkürzte
Form für »hier unten«.
Wer nun immer noch nicht weiß, ob Rapunzel ihr Haar
hinunter- oder heruntergelassen hat, der braucht sich nicht
zu grämen. Es gibt Schlimmeres! Und wer sich nicht den
Kopf darüber zerbrechen will, ob er den Hammer hinaufrei-
chen soll, wenn er gebeten wird, ihn heraufzureichen, der
reiche ihn einfach nach oben.
Von solchen und anderen Sanktionen
Frage eines Lesers: Der Begriff »Sanktion« wird, so scheint
es mir, für zwei sich widersprechende Tatbestände ver-
wendet: einerseits im Sinne von Bestrafung und anderer-
seits im Sinne von Erlaubnis. Könnten Sie da mal etwas
Licht ins Dunkel bringen und erklären, wie es zu so einer
doppelten Bedeutung kommt?
Antwort des Zwiebelfischs:
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