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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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Das gibt ihm ein Gefühl von Überlegenheit und Macht. Zum Glück kommen jedes Quartal neue Wehrpflichtige, die ihn garantiert fragen werden, ob sie bei ihm »Essensmarken« bekommen können. Und wenn es nicht die Marken sind, dann ist es das berühmte »Dreiecktuch«, das früher oder später jemand »Dreieckstuch« nennen wird. So wird der Unteroffizier noch viel zu bellen haben und sich immer wieder der Illusion von Überlegenheit und Macht hingeben können.
    Wenn ihm einer frech kommt, kann er sich auf die Dienstvorschriften berufen, denn da steht »Essenmarken«. Und Vorschrift ist Vorschrift, wie jeder weiß, dagegen kann selbst ein Literaturnobelpreisträger nichts ausrichten. Außerhalb seiner Kaserne gilt diese Vorschrift allerdings nicht. Außerhalb seiner Kaserne sagen die meisten Menschen »Essensmarken«, mit so genanntem Fugen-s, und das mit Fug und Recht. Außerhalb der Kaserne sagen sie auch Dreieckstuch. Dort herrscht Freiheit der Sprache, und Freiheit bedeutet Vielfalt und nicht selten Verunsicherung.
    Warum heißt es Mordsspaß, aber Mordopfer? Warum sagen wir Rindsleder, aber Rindfleisch? Warum haben Schiffstaufe und Schiffsschraube ein Fugen-s, Schifffahrt und Schiffbruch aber nicht? Wer legt fest, ob und womit die Nahtstelle zwischen zwei zusammengeschweißten Wörtern verfugt wird?
    Die Antwort auf diese Fragen liegt irgendwo im Nebel der Sprachgeschichte. Die meisten dieser Fügungen sind historisch gereift. Bei einigen handelt es sich um zusammengewachsene Wortgruppen, bei denen das Fugenzeichen den Genitiv markierte: Des Königs Hof wurde zum Königshof, des Herzens Freude zur Herzensfreude.
    Andere Fügungen wurden in Analogie zu bereits bestehenden Formen gebildet: Auch wenn sich auf einer Bischofskonferenz mehrere Bischöfe zu treffen pflegen, heißt es dennoch nicht Bischöfekonferenz, denn man orientierte sich bei der Wortbildung an bekannten Komposita wie Bischofsstab und Bischofswürde. Der Versuch, eindeutige Regeln zu definieren, ist zum Scheitern verurteilt. Dafür ist das Gebiet zu unübersichtlich, sind vermeintliche Gesetzmäßigkeiten zu widersprüchlich und von Ausnahmen durchlöchert wie ein mottenzerfressener Umhang. Aber wir haben uns daran gewöhnt. Dass es nicht Bratskartoffeln und Spiegelsei heißt, sagt uns unser Sprachgefühl. Was uns heute am meisten zu schaffen macht, ist die Tatsache, dass immer wieder neue Begriffe auftauchen, denen das vertraute Fugen-s abhanden gekommen zu sein scheint.
    Wer schuldlos in einen Unfall verwickelt wird, hat in der Regel Anspruch auf Schadensersatz. Die Versicherung gewährt ihm aber allenfalls Schadenersatz. Beflissentlich ignoriert sie Schadensfälle und Schadensmeldungen; wenn überhaupt, dann registriert sie einen Schadenfall und eine Schadennummer und verlangt Angaben zu Schadentag und Schadenhergang.
    Ist das nun richtig oder falsch? Heißt es nicht »des Schadens Ersatz«, und wäre dann nicht Schadensersatz die korrekte Form? Es gibt einiges, was dafür spricht. Zum Beispiel das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), dort ist ausschließlich von Schadensersatz die Rede.
    Wie man weiß, nehmen Versicherungen gerne Geld ein, tun sich aber mit dem Auszahlen schwer. Daher behalten sie bei Schadensersatzzahlungen wenigstens das »s« ein, das gibt ihnen das Gefühl, den Versicherungsnehmer am Ende doch noch ein bisschen übervorteilt zu haben. Ein kleiner Triumph in der Niederlage, kein Schaden ohne Schadenfreude.
    Ähnliches Kopfzerbrechen wie der Schadensersatz bereitet vielen Deutschen immer wieder ihre Einkommenssteuererklärung. Man hört und sieht alle Arten der Steuer nämlich auch immer mal ohne das Fugen-s, vorzugsweise in amtlichen Schreiben, aber auch in Zeitungen und Magazinen wie dem SPIEGEL. Einkommen[s]steuer, Vermögen[s]steuer, Unternehmen[s]steuer – wer soll sich da noch auskennen? In ihrem Bestreben, alles zu vereinheitlichen, hat die behördliche Sprachregelung das Fugen-s vor jeglicher Form der -steuer für abgeschafft erklärt. Da es auch nicht Tabakssteuer und Hundessteuer heiße, könne es folgerichtig auch nur Grunderwerb- und Körperschaftsteuer heißen.
    Genauso wird mit Zusammensetzungen im Rechtswesen verfahren: Mit der Begründung, dass es schließlich nicht Mietsrecht und Tarifsrecht heiße, wird in einigen Amt[s]stuben bereits nur noch von »Vertragrecht« und »Wirtschaftrecht« gesprochen.
    Behördendeutsch ist von jeher bemüht, sich allgemeiner Verständlichkeit zu entziehen, und so ist die Einsparung

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