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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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handelte es sich bei den Bewohnern der Bergdörfer aber auch um aufblasbare Gummipuppen. Dann nehme ich alles zurück.
    Bisweilen wird den Opfern noch nachträglich übel mitgespielt. »Wieder Unfall mit einem Toten«, titelte die »Sächsische Zeitung«. Gruselig, so was! Man kennt Unfälle mit Motorrädern, mit Rehen, mit Heißluftballons oder mit Fußgängern. Aber mit einem Toten? Dazu kann es kommen, wenn ein Leichenwagen einen offenen Sarg verliert und der Tote auf die Autobahn geschleudert wird. So etwas soll schon vorgekommen sein. Schlimm ist auch ein »Busunglück mit 13 Schwerverletzten«. Nun sind diese armen Menschen schon schwer verletzt, und dann rast auch noch ein Bus in sie hinein. Dabei hätte es gar nicht so weit zu kommen brauchen; denn es ist wie beim Backen – die Präposition »mit« gehört vor die Zutaten, nicht vor das Resultat: »Backen mit Liebe«, nicht »Backen mit Kuchen«. Was gäbe es sonst beim »Kochen mit Biolek«?
    Die schlimmste aller denkbaren Katastrophen ist übrigens die »humanitäre«. Von der hört und liest man immer wieder. Humanitär heißt »menschenfreundlich, wohltätig«. Was also haben wir uns unter einer Wohltätigkeits-Katastrophe vorzustellen? Eine Benefiz-Gala mit Dieter, Naddel & Co.? Das Leben steckt voller Gefahren, und die Sprache ist ein tückisches Terrain voller Fallgruben. Ehe man sich versieht, ist man mit ihr »verunfallt«; der Stil, teilweise schwer verletzt, wird von der Feuerwalze überrollt und unter den Trümmern von Kartenhäusern begraben. Welch eine Katastro-f-e!

Trügerischer Anschein des Scheinbaren
    Morgens um sieben ist die Welt anscheinend noch in Ordnung. Oder ist sie es nur scheinbar? Allem Anschein nach ist der unscheinbare Unterschied zwischen scheinbar und anscheinend nicht hinlänglich bekannt. Dabei verbirgt sich hinter dem anscheinend Ähnlichen nur scheinbar Gleiches.
    Morgens um kurz nach sieben springt der Radiowecker an, und eine notorisch gut gelaunte Stimme quäkt: »… lässt Dieter in gewohnter Manier die Hosen runter, und nach anfänglichen Startschwierigkeiten mausert sich sein zweites Buch jetzt scheinbar zu einem richtigen Verkaufsschlager.« Der Schlag auf die Schlummertaste kann gar nicht hart genug sein, wenn es gilt, nervende Quasselstrippen auf Radiosendern zum Schweigen zu bringen. Erst recht, wenn sie sich in hilfsbedürftigem Deutsch über hilflose Literaturversuche verbreiten. Leider währt die Ruhe nur wenige Minuten. Und bei der nächsten Weck-Attacke tut er es tatsächlich wieder: »… zwei zu null, die Gastgeber hatten sich scheinbar gut auf dieses Spiel vorbereitet.«
    Der Bedeutungsunterschied zwischen »anscheinend« und »scheinbar« ist offenbar selbst Radiosprechern nicht immer geläufig. Dabei ist er alles andere als gering. »Anscheinend« drückt die Vermutung aus, dass etwas so ist, wie es zu sein scheint: Anscheinend ist der Kollege krank, anscheinend hat keiner zugehört, anscheinend hat der Chef mal wieder schlechte Laune. »Scheinbar« hingegen sagt, dass etwas nur dem äußeren Eindruck nach, nicht aber tatsächlich so ist: Scheinbar interessierte er sich mehr für die Nachrichten (in Wahrheit wollte er bloß seine Ruhe haben); scheinbar war der Riese kleiner als der Zwerg (weil der Zwerg ganz weit vorne stand und der Riese ganz weit hinten); scheinbar endlos zieht sich die Wüste hin.
    In den wenigsten Fällen, in denen scheinbar gebraucht wird, ist scheinbar auch wirklich gemeint. Sätze wie »Das ist ihm scheinbar egal« oder »Scheinbar weiß es keiner« sind zwar häufig zu hören, doch leider – meistens – falsch. Richtig muss es heißen: »Das ist ihm anscheinend egal« und »Anscheinend weiß es keiner«. Andernfalls würde es bedeuten, die Gleichgültigkeit und die Unwissenheit wären nur vorgetäuscht.
    In besonders romantischen Momenten steht die Zeit scheinbar still. Hier ist scheinbar richtig, denn es handelt sich nur um einen »gefühlten« Zeitstillstand und keinen echten. Doch wo immer sich jemand scheinbar geirrt hat, da hat er sich höchstwahrscheinlich bloß anscheinend geirrt. Zum Beispiel Cäsar; der hatte sich anscheinend in Brutus getäuscht, sonst hätte ihn dessen Beteiligung am Komplott nicht derart überrascht. Dass er kein Misstrauen gegen Brutus hegte, lag daran, dass dieser ihm scheinbar wohlgesinnt war. Pech für Cäsar, dass der Schein trog.
    Ein noch berühmteres Beispiel liefert die griechische Sagenwelt: Im Kampf um Troja waren die Belagerer

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