Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
die Erdmännchen blitzschnell im Erdloch«) und unter Rasenteppichen: »Doch plötzlich stolperte der Isländer über ein Erdloch, fiel hin« (»Bild«-Zeitung). Eingedenk der neuesten Erkenntnisse über Erdlöcher wird der Fußballspieler beim nächsten Sturz über einem solchen nachschauen, ob sich darin nicht ein international gesuchter Top-Terrorist verbirgt und er mal eben 25 Millionen Dollar nebenbei verdienen kann.
Das »Erdloch« wurde zum Liebling der Berichterstatter. Mochten die Amerikaner Saddam gefunden haben; die Medien hatten ihr Erdloch: Das Ei des Kolumbus 2003! Es war aus keiner Meldung über den gefassten Despoten wegzudenken. Kaum jemand machte sich die Mühe, nach sprachlichen Alternativen zu graben. Nur selten las man vom »unterirdischen Versteck« oder von einer »Grube«, einem »Raum« oder einem »Bunker«.
Die massenhafte Ausbreitung von Erdlöchern in Nachrichtentexten konnte bei sensiblen Lesern schnell zu einem gewissen Überdruss führen. Doch das nahm man gerne in Kauf, denn der »Erdloch«-Überdruss löste den noch quälenderen Überdruss an Wörtern wie »Reformstreit«, »Maut-Desaster«, »Selbstmordattentat« und »Küblböck« ab.
Bereits im Juli desselben Jahres wurde ein 51-jähriger Mann entdeckt, der angeblich zehn Jahre lang in einem »Erdloch« gehaust hatte. Allerdings nicht im Irak, sondern in Brandenburg. Er selbst gab zwar an, er habe in einer »Erdhöhle« gewohnt. Dies hinderte die Presse aber nicht, aus der Höhle ein Loch zu machen und das Wort millionenfach abzudrucken. Offenbar klingt »Erdloch« schauriger, gruseliger und ekelerregender als »Erdhöhle« oder »Grube«. Im Nachhinein betrachtet war dieser Fall eine Art journalistischer Testlauf für Saddam Hussein. Wobei das Brandenburger Erdloch schnell wieder in Vergessenheit geriet. Mit Saddam Husseins Erdloch hingegen ist dem deutschen Journalismus ein sprachlicher Geniestreich gelungen, der Bestand haben wird.
So wie die »Titanic« mit dem Eisberg, Napoleon mit Waterloo, Nixon mit Watergate, Clinton mit dem »Oral Office« und Boris Becker mit der Wäschekammer, so wird Saddam Hussein im kollektiven Gedächtnis für alle Zeiten mit dem Erdloch verbunden bleiben.
Er designs, sie hat recycled, und alle sind chatting
Wie werden eigentlich englische Wörter in deutscher Schriftsprache behandelt; kann man sie deklinieren und konjugieren wie deutsche Wörter? Oder gelten für sie andere Regeln? Diese Fragen beschäftigen alle, die recyceln, designen, chatten und simsen. Ein paar Gedanken über die Einbürgerung von Fremdwörtern.
Fremdwörter, egal welcher Herkunft, werden zunächst mit Ehrfurcht und Respekt behandelt, manche Menschen fassen sie mit Samthandschuhen an, andere nur mit spitzen Fingern. Man ist im Allgemeinen froh, wenn man weiß, was sie bedeuten, aber man vermeidet es, sie zu deklinieren oder zu konjugieren. Doch je mehr man sich an sie gewöhnt hat, desto geringer werden die Berührungsängste. Und irgendwann, wenn das Fremdwort schon gar nicht mehr aus unserer Sprache wegzudenken ist, betrachtet man es als ein Wort wie jedes andere auch und behandelt es entsprechend. Und dagegen ist im Prinzip auch nichts einzuwenden.
Andere Sprachen machen es genauso. Zum Beispiel heißt die Mehrzahl von »bratwurst« auf Englisch nicht etwa »bratwuerste«, sondern »bratwursts«. Kein Brite oder Amerikaner käme auf die Idee, sich über diese »undeutsche« Plural-Endung aufzuregen. Und das kuriose Verb »to abseil«, aus dem deutschen Bergsteigerwort »abseilen« gebildet, wird problemlos ins Gerundium gesetzt: abseiling.
Also halten wir es genauso. Wir haben Wörter wie »design« und »recycle« in unsere Sprache aufgenommen, und nun, da sie unentbehrlich geworden sind, hängen wir ihnen unsere eigenen Endungen an: Ich designe eine Kaffeekanne, du designst ein Auto, der Architekt designt ein Haus; ich recycle Papier, du recycelst Plastik, er recycelt Biomüll. Im Perfekt entsprechend: Er hat ein Haus designt, wir haben Autoreifen recycelt.
Was wäre die Alternative? Sollte man die englischen Formen benutzen? Er hat ein Haus designed, wir haben Papier recycled – das mag im Perfekt noch angehen. Aber wie sieht es im Präsens aus? Er designs ein Haus, wir recycle Papier? Es sieht nicht nur befremdlich aus, es klingt auch äußerst seltsam.
Die Einbürgerung von Fremdwörtern verläuft nicht nach festen Regeln, irgendjemand traut sich irgendwann das erste Mal, »geshoppt« oder »gemailt« zu
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