Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 1 (German Edition)
erinnere das noch ziemlich genau, es fing damit an, dass …«
Und der Fernsehzuschauer denkt: Irgendetwas stimmt da doch nicht. In welcher Sprache reden die denn da? »Ich erinnere das« – sagt man das so? Manch einer erinnert sich vielleicht noch dunkel daran, in der Schule mal gelernt zu haben, dass »erinnern« ein reflexives Verb ist. Man erinnert sich an etwas oder an jemanden. In Norddeutschland soll man sich auch ohne Reflexivpronomen erinnern können, aber das ist umgangssprachlich, und die Herren auf der Mattscheibe machen eigentlich nicht den Eindruck, als wollten sie sich als Regionalisten verstanden wissen.
Und tatsächlich: Wenige Tage später findet sich der Beweis, dass dieses »etwas erinnern« nicht aus der norddeutschen Umgangssprache in den Jargon der Fernsehprominenz aufgestiegen ist, sondern aus einem anderen, viel größeren und viel mächtigeren Fundus stammt: dem Englischen.
Denn da muss sich der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld den Fragen eines Untersuchungsausschusses stellen. Ob es vor dem 11. September 2001 Hinweise darauf gegeben habe, dass Passagierflugzeuge als Waffen eingesetzt werden könnten, will man von ihm wissen. »I can’t remember that«, erwidert Rumsfeld lapidar. So melden es die amerikanischen Nachrichtenagenturen. Bei der Übersetzung ins Deutsche wird daraus »Ich kann das nicht erinnern«, als Überschrift verkürzt zu »Rumsfeld: Ich erinnere das nicht«. So steht es anderntags im Internet zu lesen.
Also wiederum ein Amerikanismus, der sich in die deutsche Sprache eingeschlichen hat. Wenn es nur die direkten wären, die eins zu eins aus dem Englischen übernommenen Begriffe wie Computer, Job und Inlineskating. Aber viele Amerikanismen erkennt man erst auf den zweiten Blick, wenn überhaupt. Sie kommen im deutschen Gewand daher, sodass man sie für Sprachangehörige hält. Und heimlich verändern sie unsere Syntax, machen aus »sich an etwas erinnern« kurzerhand »etwas erinnern«, streichen das »sich mit jemandem treffen« zu »jemanden treffen« zusammen und verwässern unsere Sprache mit fragwürdigen Phrasen wie »das macht Sinn« (statt »das ist sinnvoll«), »ich denke« (statt »ich meine«, »ich glaube«), »nicht wirklich« (statt »eigentlich nicht«) und »einmal mehr« (statt »wieder einmal«).
Ein Bundesliga-Kommentator beweist, dass es noch schlimmer geht, im Passiv nämlich. In einem Artikel über das spektakuläre Pech, das Torhüter bisweilen haben, schreibt er: »Selbst die Fehler von Stürmern werden selten so nachhaltig erinnert wie verunglückte Paraden oder verhunzte Rettungsaktionen von diesen Männern.«
»Wie fühlt sich diese Haltung an? Sind Sie bequem oder angespannt?«, lautet eine Frage in einem Selbsttest zur Erforschung der körpereigenen Energien. »Thank you, I’m comfortable«, will man antworten, »aber ich bin keinesfalls so bequem, mir Ihre schlechten Übersetzungen gefallen zu lassen!« Bequem können Möbel und Schuhe sein, Liegepositionen und Verkehrsverbindungen, aber wenn ein Mensch bequem ist, dann ist er auf gut Deutsch faul, und das gäben wohl die wenigsten offen zu, nicht mal in einem Selbsttest.
In Deutschland gibt es immer mehr Rückrufaktionen. Längst sind es nicht nur Automobilhersteller und Möbelhäuser, die fehlerhafte Modelle zurückrufen. Das Rückrufen ist zu einem Volkssport geworden, jeder ruft heute jeden zurück: »Lassen Sie uns das später ausdiskutieren. Ich rufe Sie zurück!« – »Kann ich Sie zurückrufen?« – »Ruf mich zurück, wenn du Zeit hast!« – »Rufen Sie nicht uns zurück, wir rufen Sie zurück!« Da bekommt man auf gut Deutsch einen Rappel! So wie nach zwei Stunden Fahrt auf einer französischen Autobahn. Anmerkung Im Englischen heißt es »I’ll call you back«, auf Deutsch pflegte man früher zu sagen: »Ich rufe Sie wieder an«, aber das scheint vollkommen passé – pardon: out zu sein.
Cogito ergo sum, ich denke, also bin ich. Diese berühmt gewordene Erkenntnis des französischen Philosophen René Descartes (1596–1650) ist allerdings kein Grund, jede Meinungsäußerung mit »Ich denke« anzufangen. So kennt man es von den Amerikanern, für die »Well, I think …« die natürlichste Floskel der Welt ist, mit der sie zu erkennen geben, dass sie ein persönliches »Statement« abgeben. Auf Deutsch sagt man eher, was man meint oder glaubt (»Ich meine, …«, »Ich glaube, dass …«) oder von einer Sache hält (»Ich halte das
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