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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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sondern aus Silizium.
    Erstaunlich unsensibel reagieren viele Menschen auch im Umgang mit dem englischen Wort »sensitive« (= sensibel, feinfühlig, empfindlich). Da erregt sich zum Beispiel ein Energie-Experte der SPD über den geplanten Export der Hanauer Atomfabrik nach China mit den Worten: »Wenn es überhaupt je einen Grund gibt, einen Export zu untersagen, dann bei sensitiver Atomtechnologie.« Das Wort »sensitiv« gibt es im Deutschen zwar auch, doch hat es die Bedeutung »leicht reizbar« und wird hauptsächlich von Nervenärzten verwendet. Was der Energie-Experte tatsächlich meinte, war »sensible Atomtechnik«.
    In einem Bericht, in dem es um die Fettleibigkeit der Amerikaner ging, war zu lesen: »Allzu große Anstrengungen will der Minister seinem Volk nicht zumuten. Es sei nicht nötig, Marathon zu laufen oder einem Gesundheitsclub beizutreten.« Die Augen sind schon längst im nächsten Absatz, da kreiselt das Wort »Gesundheitsclub« noch immer im Kopf herum und verursacht ein befremdliches Geräusch. Bis es plötzlich »Klack!« macht und man erkennt: Im Originaltext war offenbar von einem »health club« die Rede, und das ist nichts anderes als ein ganz gewöhnliches Fitness-Studio! »Gesundheitsclub« ist fraglos eine irreführende Übersetzung.
    Im Fachjargon spricht man von »falschen Freunden«, wenn ein wörtlich übersetzter Begriff scheinbar passt (so wie silicon/Silikon), in Wahrheit aber etwas ganz anderes bedeutet und somit also das Ziel verfehlt. Eines der bekanntesten Beispiele hierfür ist die amerikanische »billion«, die von deutschen Journalisten regelmäßig mit »einer Billion« wiedergegeben wird, wodurch der Staatshaushalt der USA jedes Mal zu immenser Größe aufgebläht wird, neben der selbst Dagobert Duck arm aussieht. Die amerikanische »billion« entspricht im Deutschen tatsächlich aber nicht mehr als einer Milliarde.
    »Solana drückte seine tiefe Sympathie für diejenigen aus, die bereits Zielscheibe von Angriffen geworden waren«, war im Zusammenhang mit einer Serie von Briefbombenanschlägen zu lesen. Immerhin hatte der Übersetzer auf den Begriff »Briefbombenattacken« verzichtet, wofür man heutzutage ja schon dankbar sein muss. Aber drückt man auf Deutsch den Opfern seine Sympathie aus? Ist es nicht eher Mitgefühl, Beileid oder Bedauern? Schlag nach bei Shakespeare oder wenigstens bei Leo, und siehe da: Das englische Wort »sympathy« bedeutet neben Zuneigung und Wohlwollen auch Mitleid, Mitgefühl und Anteilnahme. Es kommt eben auf den Zusammenhang an, und über den sollte sich jeder im Klaren sein, ehe er sich ans Übersetzen macht.
    Ein falscher Freund versteckt sich auch in diesem Beispiel: »Das schwerste Unglück in der Geschichte des New Yorker Fährbetriebs ereignete sich 1871, als auf einem Schiff ein Boiler explodierte. Damals wurden mehr als 125 Menschen getötet.« Natürlich ist damals nicht ein Heißwasserspeicher explodiert, wie er üblicherweise in Badezimmern hängt, sondern ein Dampfkessel. Im Englischen heißt Boiler nämlich auch das, im Deutschen nicht.
    Etwas anderes muss dem Hollywood-Star Ben Affleck explodiert sein, denn laut eines Klatschspalten-Berichts soll er das Scheitern seiner Beziehung mit Jennifer Lopez mit folgenden Worten erklärt haben: »Wir haben ein Monster kreiert!« Haben die beiden also doch noch Nachwuchs bekommen? Oder sich erfolgreich als Nachfolger Dr. Frankensteins versucht? Im Originallaut hat Ben Affleck tatsächlich gesagt: »We created a monster«, aber das bedeutet im Deutschen nichts anderes als »Die Sache ist uns aus dem Ruder gelaufen« oder »Wir haben die Kontrolle verloren«. Der Ausdruck »ein Monster kreieren« ist im Deutschen keine Redewendung, die als Metapher funktioniert. Folglich muss man sich vom englischen Wortlaut lösen und abstrahieren, denn nicht die Wörter wollen übersetzt sein, sondern ihre Bedeutung.
    Wie grandios man danebenliegen kann, wenn man es mit der wörtlichen Treue zu genau nimmt, zeigt das letzte Beispiel: Nach einer Begegnung mit Hillary Clinton soll Bernadette Chirac, die Frau des französischen Staatspräsidenten, anerkennend gesagt haben: »Sie ist eine Professionelle. Aber sie kann auch sehr charmant sein.« Wir dürfen davon ausgehen, dass Bernadette Chirac ihre Worte in Wahrheit klüger gewählt hat und dass hier nichts anderes als ein weiterer Übersetzungsfehler vorliegt: »She’s a professional«, so stand es in der englischsprachigen Quelle – was auf Deutsch

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