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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition)

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 2: Folge 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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schauderhaft, schemenhaft, schleierhaft, schmerzhaft, zauberhaft
    Adjektive, die von konkreten Begriffen abgeleitet werden (und was könnte konkreter sein als Materialien?), haben hingegen auch eine sehr konkrete Endung, nämlich -en, -ern oder -n:
    blechern, eisern, erzen, gläsern, golden, hölzern, irden, kupfern, ledern, papieren, samten, silbern, stählern, steinern, tönern, wächsern, wollen
    Freilich gibt es Ausnahmen, aber die Produkte, die ein Papierwarengeschäft verkauft, sollten getrost papieren genannt werden: papierene Dokumente, papierene Formulare. Man kann es sogar noch kürzer sagen, nämlich in einem Wort: Papierdokumente, Papierformulare.
    Es gibt noch ein weiteres Argument, das gegen »papierhaft« spricht: In der Endsilbe »-haft« klingt, ähnlich wie bei »-artig«, ein vergleichendes »beschaffen wie« an. Etwas, das »sagenhaft« ist, ist »wie eine Sage«, und was »wie ein Schemen« aussieht, erscheint uns schemenhaft. Produkte, die laut Angaben des Herstellers »papierhaft« sind, wären dieser Logik zufolge nicht aus Papier, sondern nur wie Papier, in Wahrheit aber womöglich aus Kunststoff. Vielleicht sollte man die Artikel, die als »papierhaft« gehandelt werden, noch einmal sehr kritisch auf ihre Zusammensetzung prüfen.

Er steht davor, davor, davor – und nicht dahinter
    Wann immer ein Minister in Bedrängnis gerät, liest man garantiert irgendwo den Satz: »Der Bundeskanzler stellte sich demonstrativ hinter seinen Minister.« Ein mutiger Schritt, soll man denken. Doch wäre es nicht viel mutiger gewesen, wenn der Kanzler sich vor seinen Minister gestellt hätte? Der Verdacht liegt nahe, dass die Positionen verwechselt wurden.
    Als vor einiger Zeit Korruptionsvorwürfe gegen das Verkehrsministerium erhoben wurden, war in einer Radiomeldung zu hören, Bundeskanzler Gerhard Schröder habe sich »hinter seinen Verkehrsminister gestellt«. Der Minister war bestimmt sehr dankbar, dass der Kanzler ihn nicht »im Regen stehen lassen« wollte – doch war die Stellungnahme des Kanzlers wirklich hilfreich? Dort, wo sie erfolgte, also hinter dem Minister. In seinem Rücken.
    Schon Rudolf Scharping hat erfahren müssen, was es bedeutet, wenn man mit dem Rücken zum Kanzler steht: »Die Bundesregierung wies die Rücktrittsforderung als unbegründet zurück. Bundeskanzler Gerhard Schröder stellte sich hinter seinen Minister und sagte, in Scharpings Äußerungen sei etwas ›hineingeheimnist‹ worden, was nicht ›hineinzugeheimnissen‹ sei«, stand 2001 im »Hamburger Abendblatt« zu lesen. Inzwischen ist Rudolf Scharping längst als Verteidigungsminister abgelöst worden. Der Schutz von hinten hat ihm nicht viel genützt.
    Im Zuge der Karstadt-Krise war in der Presse Folgendes zu lesen: »Auch Vorstandschef Christoph Achenbach soll angeblich zur Disposition stehen. Aufsichtsratschef Thomas Middelhoff wies die Gerüchte umgehend zurück und stellte sich demonstrativ hinter Achenbach.« Damit keine Missverständnisse aufkommen: Weder Gerhard Schröder noch Thomas Middelhoff haben sich in den beschriebenen Fällen ungebührlich verhalten. Es wurde nur falsch darüber berichtet.
    Stellen wir uns das doch mal bildlich vor: Bad Segeberg, 2005. Eine Farmerfamilie gerät in einen bösen Indianerhinterhalt. Winnetou und Old Shatterhand kommen den Farmern zu Hilfe und stellen sich demonstrativ hinter sie. Die Indianer lassen sich davon aber nicht beeindrucken und greifen mit lautem Geheul an. Die Farmerfamilie wird von Kugeln durchsiebt, und auf der Flucht ruft Old Shatterhand seinem Blutsbruder zu: »Das wäre um ein Haar ins Auge gegangen! Ein Glück, dass wir uns nicht vor die Leute gestellt haben!« Ist das etwa der Stoff, aus dem Heldenlegenden gemacht werden? Natürlich nicht. Wenn man eine Person, die angegriffen wird, schützen will, so stellt man sich vor sie. Worin bestünde sonst der Schutz?
    Die »WAZ« schrieb in einem Bericht über das Auf und Ab in der Bezirksliga: »Trainer Thomas Strauch stellte sich hinter sein Team.« Da fragt man sich doch: Woher wusste die »WAZ« das? Sie konnte den Trainer doch unmöglich selbst gesehen haben! Wenn er sich wirklich hinter sein Team gestellt hatte, dann war er doch von mindestens elf Männern verdeckt!
    Natürlich gibt es die Redewendung »sich hinter jemanden stellen«. Sie ist immer dann richtig am Platz, wenn es um die Beschreibung moralischer Unterstützung geht; meistens wird sie von dem Wort »demonstrativ« begleitet. Man kann außerdem

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