Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
Rätsels Lösung liegt nicht im Mystischen, sondern in der Beziehung der Wörter zueinander. Das ominöse »sein« ist ein besitzanzeigendes Fürwort und bezieht sich auf die jeweils am Satzanfang genannte Sache oder Person. Wenn es heißt »Das wird schon seinen Grund haben«, dann bezieht sich »seinen« auf »Das«, und dieses »Das« wiederum auf etwas, das kurz zuvor erwähnt worden ist. Die beiden gehören zusammen, so wie Erde und Mond, und damit keiner von ihnen aus seiner Bahn fliegt, müssen sie sorgsam aufeinander abgestimmt werden.
Die Grammatikaner haben dafür ein schwer auszusprechendes Wort gefunden: Kongruenz. Das ist aus dem Lateinischen entlehnt und bedeutet Übereinstimmung. Wörter, die sich aufeinander beziehen, müssen im gleichenKasus, Genus und Numerus stehen. Sonst erkennt man am Ende nicht mehr, welches Fürwort zu welchem Hauptwort gehört, und begreift womöglich den ganzen Satz nicht.
»Man sagt zwar, Qualität hat seinen Preis, aber es muss doch auch eine preiswerte Qualität geben«, behauptet ein Anbieter von Wasserbetten. Nein, will man ihm spontan widersprechen, das sagt man eben nicht. Zwar mag es richtig sein, dass alles »seinen Preis« hat, aber wenn es um Qualität geht, dann wird das Pronomen weiblich, dann muss es selbstverständlich heißen: »Qualität hat ihren Preis«. Diese Erkenntnis scheint sich in der Werbebranche noch nicht ganz herumgesprochen zu haben. Aber die Werbung hatte ja schon immer »seine« liebe Not mit der Grammatik.
»Auch die kleinere Version des Sportwagens hat seinen Reiz«, kann man in einem Autoprospekt lesen. Das ist nicht nur unter grammatischen, sondern auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ärgerlich, denn hier wurde wertvolles Werbepotenzial verschenkt. Jeder Autohändler weiß, dass sich Autos noch besser verkaufen lassen, wenn man sie mit etwas Weiblichem drapiert. Hätte man »ihren Reiz« statt »seinen Reiz« hervorgehoben, hätte sich die kleinere Version des Sportwagens bei der männlichen Zielgruppe bestimmt noch größerer Beliebtheit erfreut.
Zu einer gewissen Verunsicherung führte auch ein Werbefilm von Mercedes-Benz, in dem es ausgerechnet um Sicherheit ging. »Die A-Klasse. Das sicherste Auto ihrer Klasse«, hieß es dort. Viele meiner Leser fragten mich, ob sich die Klasse nicht auf das Wort »Auto« beziehe und ob es folglich nicht »Das sicherste Auto seiner Klasse« heißen müsse. Man kann das Problem lösen, indem man nach Vergleichsfällen sucht: »Martin Luther – die eindrucksvollste Persönlichkeit seiner Zeit«. Hier haben wir einen (männlichen)Luther, der mit einem weiblichen Wort (Persönlichkeit) gleichgesetzt wird. Weil Luther zuerst da war, bestimmt er das Geschlecht des Pronomens vor dem Wort »Zeit«. Umgekehrt klänge es eher befremdlich: »Martin Luther – die eindrucksvollste Persönlichkeit ihrer Zeit«. Im Falle der Mercedes-Benz-Werbung verhält es sich genauso: Das weibliche Modell und das sächliche Wort Auto sind gleichrangig, doch weil die A-Klasse zuerst genannt wurde, richtet sich das Pronomen nach ihr. Der Werbespruch ist also korrekt.
Nicht korrekt ist hingegen der Spruch, mit dem die »Lebenshilfe Berlin« die Organisation in ihren Seniorenwohnstätten beschreibt: »Jede Gruppe hat seinen eigenen Etat und wirtschaftet für sich selbst«. Jede Gruppe ist nämlich – grammatisch gesehen – weiblich, selbst wenn sie nur aus Männern bestehen sollte. Oder aus Kindern im Vorschulalter. Der Kindergarten »Hasselbachzwerge« schreibt in seiner Selbstdarstellungsbroschüre: »Jede Gruppe hat sei-nen eigenen Namen: Käfer-, Hasen-, Mäuse- und Elefantengruppe«. Das klingt zwar zunächst unerhört putzig, doch bei genauerem Hinhören fragt man sich, warum denn nicht jede Gruppe ihren eigenen Namen bekommen hat.
Ebenso theologisch vieldeutig wie grammatisch bedenklich ist die Auskunft eines Leichenbestatters, der seine Berufswahl mit den Worten begründete: »Jede Arbeit hat seinen Sinn.« Wenn ich in einem Diskussionsforum der Tierfreunde lese: »Jede Katze hat seinen eigenen Charakter«, dann vermute ich, dass der Katzenbesitzer offenbar einen Kater hat. Im Gästebuch der Berliner Senatskanzlei hinterließ ein begeisterter Berlinbesucher den Eintrag: »Jede Stadt hat sein eigenes Flair«.
Längst nicht immer kongruent verhalten sich Sprache und Biologie. Während Letztere beim Menschen – bis auf wenige Ausnahmen – nur zwei Geschlechter unterscheidet, kennt die
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