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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
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Zeit?
    Ein Augenblick, ein Stundenschlag
    Tausend Jahre sind ein Tag!
     
    (Siegfried Rabe/Udo Jürgens)
     
    Das Mysterium der Zeit hat mich beschäftigt, seit ich ein kleiner Junge war. Spätestens, seit ich »Peter Pan« gesehen hatte, in dem ein Krokodil eine Rolle spielt, das einen Wecker verschluckt hatte und infolgedessen ständig tickte. Seitdem tickte es auch bei mir. Die Zeit faszinierte mich, weil sie sich nicht beherrschen ließ. Nie verging sie so, wie man es wollte. Beim Spielen viel zu schnell und bis Weihnachten viel zu langsam.
    In der Schule wollte man mir weismachen, Zeit sei eine exakt messbare Komponente unseres Universums; doch ich wusste es besser: Nichts ist so relativ wie die Zeit. Für unser Leben spielen Nanosekunden und Gigajahre keine Rolle, da geht es allein um gefühlte Zeit: 20 objektive Minuten beim Zahnarzt sind in gefühlter Zeit mindestens zwei Stunden. Dass eine Minute längst nicht immer aus 60 Sekunden besteht, weiß jeder, der schon mal die Ansage gehört hat: »Gib mir eine Minute, Schatz! Ich zieh mir nur eben ein anderes Kleid an!« Oder man klingelt unten an der Tür, und eine Stimme flötet vom Balkon herab: »Sekündchen, ich komme!« Während dieses »Sekündchens« kann man meistens problemlos noch ein bis zwei Telefonate führen.
     
    Wie schwer es uns fällt, die Zeit zu bestimmen, zeigt sich an Wörtern wie »sofort«, »gleich« oder »später«. Ein guter Bekannter klärte mich einmal über die in seiner Abteilung übliche Unterscheidung auf. »Das erledige ich sofort« bedeute so viel wie »im Anschluss an meine Kaffeepause«, während »das erledige ich gleich« so viel wie »nachher, irgendwann am Nachmittag, wenn alle meine Ebay-Auktionen abgelaufen sind« bedeute. Die Aussage »das erledige ich später« stelle klar, dass mit einer Erledigung keinesfalls mehr am selben Tag zu rechnen sei.
     
    In einigen Kulturen gibt es angeblich gar kein Wort für Zeit. Im Deutschen gibt es dafür umso mehr Wörter mit »Zeit«, man denke nur an Zusammensetzungen wie Zeitalter, Zeitbombe, Zeitdruck, Zeitlupe, Zeitpunkt, Zeitreise und Zeitzeuge. Und nicht zu vergessen: Zeitfenster . Das ist aus unserer Sprache heute nicht mehr wegzudenken. Früher betrat man einen Zeitraum oder hängte einen Zeitrahmen auf, heute öffnet man ein Zeitfenster. Die Moden wandeln sich eben – das ist der Lauf der Zeit. Mir soll’s recht sein – solange ich dieses Fenster nicht putzen muss ...
     
    Ebenfalls zurzeit sehr in Mode ist der Superlativ-Nachsatz »aller Zeiten«: Da ist vom »teuersten Film aller Zeiten« die Rede, von der »meistverkauften Platte aller Zeiten«, vom »kultigsten Auto aller Zeiten« und vom »jüngsten Formel-1-Sieger aller Zeiten«. Ich halte dies für den größten Unfug aller Zeiten. Denn wer wirklich alle Zeiten meint, der kann doch dabei die Zukunft nicht ausschließen, und wer könnte sicher sagen, dass es morgen nicht einen noch teurerenFilm und einen noch jüngeren Formel-1-Sieger geben wird?
    Zugegeben: »Der teuerste Film aller bisherigen Zeiten« klingt nicht so beeindruckend. Aber in Zeiten allzu schneller Ausreizung von Rekordvokabeln kann es nicht schaden, sich beizeiten etwas Neues einfallen zu lassen. Den »aller Zeiten«-Nachsatz verwendete man übrigens schon zu früheren Zeiten: Adolf Hitler wurde spöttisch auch als Gröfaz bezeichnet, als »größter Feldherr aller Zeiten«. Allein aus diesem Grunde sollte man mit dem »größten Superlativ aller Zeiten« weniger leichtfertig und verschwenderisch umgehen.
     
    Politiker lieben das Wort »zeitnah«, weil es gebildet klingt, auch wenn es in Wahrheit genauso unpräzise ist wie »bald« oder »demnächst«. Noch im letzten Jahrhundert führte »zeitnah« ein eher unscheinbares Dasein im Wirtschafts- und Bankenjargon. Der Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen verhalf ihm im Jahre 2001 zum gesellschaftlichen Durchbruch. Die Frage nach dem Zeitpunkt des Rücktritts des CDU-Fraktionsvorsitzenden Klaus Landowsky beantwortete Diepgen mit den Worten: »Die Entscheidung wird zeitnah folgen.«
     
    Seitdem hat die Verwendung des Wortes »zeitnah« bei Politikern und in den Medien sprunghaft zugenommen. Immer wieder hört und liest man von »zeitnahen Lösungen« und »zeitnahen Umsetzungen«, und die Bahn verspricht »zeitnahe Auskünfte über Verspätungen und Anschlussmöglichkeiten«. Ob Politiker ihren ungeduldig wartenden Kindern wohl auch erklären, Weihnachten sei zeitnah? Dabei ist die Definition

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