Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
Buchhändler. Der verkauft keine Bücher, der schreibt sie. ICH verkaufe Bücher, aber bis man da auf eine Million kommt, das dauert, das kann ich Ihnen sagen!‹« – »Danke, dass Sie unsere Berufsehre gerettet haben«, sage ich, »aber da stellt sich natürlich die Frage, wie wörtlich man wörtliche Rede nehmen darf. Manch einer könnte in Ihrem feinsinnigen Humor womöglich die gebotene Höflichkeit vermissen.«
»Höflichkeit ist ein gutes Stichwort«, pflichtet Andreas mir bei, »leider ist sie alles andere als selbstverständlich. Schlimmer noch als Kunden, die sich nicht ausdrücken können, sind Kunden, die sich nicht zu benehmen wissen. Wir Buchhändler sind zwar Dienstleister, aber keine Automaten. Sie können sich denken, wie euphorisch es mich stimmt, wenn man mich fragt: ›Sind Sie die Kasse?‹ Ich antworte darauf dann gern mit einer Gegenfrage: ›Habe ich geklingelt?‹ In der Regel hilft das.« – »Tatsächlich?« – »Es kommt natürlich auf den Tonfall an. Ich bin dabei ja nichtpatzig. Manche Kunden empfinden es sogar als befreiend, wenn man sie einlädt, den staubigen Mantel des floskelhaften Sprechens abzulegen und über den Sinn und Nutzen von Phrasen nachzudenken. So wird aus Förmlichkeit Verbindlichkeit.« – »Das verbindet Ihren Beruf mit meinem«, stelle ich fest. Dann deute ich auf das Buch in meiner Hand und sage: »Ich würde dieses Buch gerne kaufen.« – »Dann tun Sie es doch einfach!«, entgegnet Andreas, »ich kann Sie nur dazu ermutigen!« – »Also gut, schon überredet, ich mach’s«, sage ich lachend, »kann ich es dann auch gleich bei Ihnen bezahlen?« Andreas mustert mich kritisch von oben bis unten und sagt trocken: »Na, das will ich doch wohl hoffen!«
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Mal hat’s Sonne, mal hat’s Schnee
Ja, was hat es denn heute? Es hat doch wohl nicht etwa Regen? Nein, es hat Sonne, Gott sei Dank! Aber morgen soll es Wolken haben und Schnee! Bei den einen hat’s Glatteis, und bei den anderen kräuseln sich die Nackenhaare. Haben oder Nichthaben, das ist hier die Frage.
Es ist mal wieder einer dieser ungemütlichen Wintertage, wie ich sie so liebe: In der Nacht hatte es noch geschneit, am Morgen war der weiße Zauber schon wieder dahin, die Straßen voller Schneematsch, der Verkehr ein ängstliches Schleichen. Ich sitze, noch nicht ganz aufgetaut, im Büro und warte auf Inspiration. Eigentlich wollte ich eine gewichtige Kolumne zum Thema Kongruenz schreiben, das hätte gut zu diesem Wetter gepasst, doch dann landet plötzlich eine E-Mail in meinem Postfach, die noch viel besser passt:
Lieber Herr Sick, mein Sohn (7) hat in einer Schulaufgabe folgenden Satz gebildet: »Es ist Glatteis wegen des Winterwetters.« Gegen diesen Satz ist meines Erachtens nichts einzuwenden. Nun hat aber seine Lehrerin das »ist« durchge-strichen und in Rot ein »hat« darübergeschrieben und das Ganze als Fehler markiert. Ich bin jetzt etwas verunsichert, was denn richtig ist. Man ist sich eben in einem Land, das mit dem Slogan »Wir können alles außer Hochdeutsch« wirbt, nie so ganz sicher.
Donner und Doria! Das konnte mich nicht kaltlassen, allen angestrengten Gedanken über das komplexe Thema Kongruenz zum Trotz. Denn hier stand die Ehre eines siebenjährigen Knaben auf dem Spiel, der unter sprachlich widrigen Umständen im Badischen aufwächst und offenbar dringend meines Beistands bedarf.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Siebenjährige etwas kann, was den meisten erwachsenen Menschen südlich der Main-Donau-Linie äußerst exotisch erscheint: den Genitiv hinter »wegen« bilden. Welch wohlklingende Wortwahl: wegen des Winterwetters ! Und dagegen nun der schnöde Dativ: wegen dem Winterwetter. Was klingt besser? Letztlich ist alles eine Frage der Gewöhnung – und des persönlichen Geschmacks. Erlaubt ist inzwischen beides. Aber darum geht es hier ja gar nicht.
Es geht um Haben oder Nichthaben, um die Frage aller Fragen: Kann »es« etwas »haben«? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Nicht unter den Philosophen im Elfenbeinturm, sondern unter den Deutschsprechenden zwischen Flensburger Förde und den Dolomiten. Im Süden sagen viele: »Es hat«. Da hat es Regen, oder es hat 20 Grad, dann hat’s plötzlich wieder Nebel, und gelegentlich hat es dort auch Glatteis. In Baden-Württemberg ist dies gang und gäbe, in der Schweiz sogar Standard. (Nicht das Glatteis, sondern das »Es hat«.)
Dies ist wohlgemerkt die süddeutsche Art, das Wetter
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