Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
Vom Netzwerk:
eines Ganzen zu sehen ist, steht »das Teil« für etwas Losgelöstes, für ein einzelnes Stück.
     
    Der Teil (Teil eines Ganzen):
     
    der Erdteil, der Landesteil, der Stadtteil, der Elternteil, der Bestandteil, der (vordere/hintere) Zugteil, der Mittelteil (z. B. mittlerer Abschnitt eines Buches)
     
    Das Teil (loses Stück):
     
    das Puzzleteil, das Ersatzteil, das Einzelteil, das Altenteil, das Oberteil, das Plastikteil, das Wrackteil
     
    Das Wort »Wrackteil« wird meistens sächlich gebraucht, wenn nämlich ein einzelnes Stück gemeint ist, das am Straßenrand liegt oder irgendwo an einen Strand gespült wird. »Wrackteil« kann aber auch männlich gebraucht werden, wenn zum Beispiel der vordere oder der hintere Teil eines Wracks gemeint ist. Um es auf eine stark vereinfachte Formel zu bringen:
     
    Männliche Teile kann man erforschen, sächliche Teile kann man abtrennen, einbauen, anziehen oder wegwerfen.
     
    Der Bedeutungsunterschied zwischen dem männlichen Teil und dem sächlichen Teil wird allerdings nicht bei allen Zusammensetzungen durchgehalten. So wird das Wort »Erbteil« meistens mit sächlichem Artikel gebraucht, obwohl damit nicht irgendein Ding gemeint ist, das man in die Hand nehmen kann (auch wenn oft nicht viel mehr zu holen ist). Erbteil bedeutet Anteil vom Erbe, und das Wort »Anteil« ist schließlich auch nicht sächlich. Die Juristen, die es mit der Sprache bekanntlich oft genauer nehmen als alle anderen, verwenden das Wort »Erbteil« entsprechend mit männlichem Artikel. Im BGB heißt es »der Erbteil«.
     
    Nach obiger Definition müssten auch die Wörter Körperteil, Vorderteil und Hinterteil männlich sein, da sie Teile eines Ganzen sind. Sie werden aber sehr häufig mit säch- lichem Artikel gebraucht, das Wort »Hinterteil« sogar fast ausschließlich. Obwohl es doch »der Hintern« heißt. Offenbar wird »das Hinterteil« nicht als Teil eines Ganzen verstanden, sondern losgelöst vom Rest des Körpers begutachtet. Möge sich jeder seinen Teil (nicht: sein Teil) dazu denken.
    [t] Tür/Türe
    Wenn der Dezember kommt, dann steht Weihnachten vor der Tür. Bei einigen steht Weihnachten allerdings auch vor der Türe. Das führt bei vielen Deutschen zu Verwirrung. Vor allem, wenn sie zum Beispiel an Bord derselben Lufthansa-Maschine (»Thüringen«) sowohl den Hinweis »Bitte Tür schließen« beachten als auch der Aufforderung »Bitte Türe vorsichtig öffnen« nachkommen sollen. Wie ist es denn nun richtig? Türe oder Tür?
    Tatsächlich gibt es beide Formen. Auf Hochdeutsch heißt es »Tür«, ohne »e«, so ist es üblich und gilt als Standard. Die Form mit »e« existiert vor allem in Mitteldeutschland. Ob der Hinweis an der Toilettentür(e) in besagter Lufthansa-Maschine allerdings bewusst mit Rücksicht auf das namensgebende Bundesland gewählt wurde, ist zu bezweifeln.
     
    Für die Dichter und Verseschmiede in diesem Lande ist die Existenz zweier Formen indes ein Segen, denn sie erhöht die Reimmöglichkeiten. Anbei ein kleines Beispiel, nicht gerade von goethescher Qualität, aber das Prinzip durchaus erhellend:
     
    Vor der Türe, vor dem Tore
    Warte ich auf Hannelore.
    Vor dem Türchen, vor dem Törchen
    Wart ich auf das Hannelörchen.
    Vor dem Tore, vor der Tür
    Steh ich nun seit Stunden hier.
    Keine Spur von Hannelor
    Wie viel Zeit ich schon verlor!
    Geh ich halt nach nebenan
    In die Kneipe, rein zur Tür
    Wo bei einem frischen Bier
    Ich genauso warten kann
    Und mich besser amüsiere
    Als vor Hannelörchens Türe.
    [ü] überführt/übergeführt
    Man kann sowohl einen Täter überführen als auch einen Leichnam. Der Unterschied liegt in der Betonung: Bedeutet das Verb »jemanden an einen anderen Ort bringen«, liegt die Betonung auf der Vorsilbe »über«.
    Die Vergangenheitsformen lauten in diesem Falle:
     
    Man führte den Schwerverletzten in ein Krankenhaus über. (Aktiv/Präteritum)
    Er wurde in ein Krankenhaus übergeführt. (Passiv/Präteritum)
    Man hat den Schwerverletzten in ein Krankenhaus über- geführt. (Aktiv/Perfekt)
    Er ist in ein Krankenhaus übergeführt worden. (Passiv/ Perfekt)
     
    Wird »überführen« hingegen im Sinne von »den Beweis einer Schuld erbringen« gebraucht, so liegt die Betonung stets auf der dritten Silbe. Die Vergangenheitsformen lauten hier:
     
    Man überführte den Täter. (Aktiv/Präteritum)
    Der Täter wurde überführt. (Passiv/Präteritum)
    Man hat den Täter überführt. (Aktiv/Perfekt)
    Der Täter ist überführt worden.

Weitere Kostenlose Bücher