Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3
»verstorben« zu schreiben. Napoleon ist nicht etwa am 5. Mai 1821 auf St. Helena »verstorben«, sondern gestorben. Und Charlie Chaplin »verstarb« nicht etwa im Alter von 88 Jahren, sondern er starb im Alter von 88 Jahren.
Stellt sich die Frage nach der Todesursache, kann hierzu nur das Verb »sterben« herangezogen werden:
Woran ist Ihre liebe Frau Mutter gestorben? (nicht: verstorben)
Der Regisseur starb (nicht: verstarb) am 18. August an einer Lungenentzündung.
Als Attribut und als Hauptwort sind indes nur die von »verstorben« abgeleiteten Formen gebräuchlich:
Am vergangenen Mittwoch wurde der verstorbene Präsident (nicht: der gestorbene Präsident) in einem feierlichen Staatsakt beigesetzt.
Ich kannte den Verstorbenen (nicht: den Gestorbenen) nur flüchtig.
[v] verwendet/verwandt
»Bei der Herstellung unserer Speisen werden nur hochwertige Pflanzenöle verwandt«, verspricht ein Restaurantbesitzer. Prompt weist ihn ein Gast darauf hin, es müsse »verwendet« heißen. »Verwandt« sei er mit seiner Cousine und seiner Tante, aber nicht mit Pflanzenöl. »In der Gastronomie sollte ruhig etwas mehr Sorgfalt auf Sprache verwendet werden«, sagt er seiner Begleiterin, die übrigens Angewandte Sprachwissenschaften studiert hat, und nicht etwa Angewendete Sprachwissenschaften. Der Duden erkennt keinen Unterschied zwischen den Partizipien »verwendet« und »verwandt«. Das Verb »verwenden« in der Bedeutung »gebrauchen« wird im Präteritum mal zu »verwendete«, mal zu »verwandte«. Im Perfekt seien sowohl »verwendet« als auch »verwandt« gebräuchlich. »Die Designerin verwandte ausschließlich farbige Stoffe« ist genauso richtig wie »Die Designerin verwendete ausschließlich farbige Stoffe«.
Der Gast hat demnach vorschnell reagiert, der Wirt braucht seinen Hinweis nicht zu ändern.
Anders verhält es sich dagegen mit »gewendet« und »gewandt«: Zwischen diesen beiden Partizipien besteht tatsächlich ein Unterschied, was daran liegt, dass es zwei verschiedene Formen des Verbs »wenden« gibt: eine transitive (etwas wenden, z. B. ein Auto wenden, Fleisch in der Pfanne wenden) und eine reflexive (sich wenden, z. B. der Gast wandte sich mit Grausen, sie hat sich an mich gewandt).
[v] vor Ort/am Ort des Geschehens
Der Ausdruck »vor Ort« ist ein treffliches Beispiel für die große deutschlandweite Karriere eines kleinen, sehr speziellen Idioms. »Vor Ort« entstammt der Bergmannssprache. Das Wort »Ort« gab es schon im Althochdeutschen, dort hieß es so viel wie Punkt, Spitze (und gemeint war die Spitze einer Waffe), äußeres Ende, Rand. Von Punkt und Spitze ist es nicht weit zu Stelle und Platz, und so verbreiterte sich die Bedeutung des Wortes »Ort« allmählich zur Ortschaft. In der Bergmannssprache hat sich die alte Bedeutung »Spitze«, »Endpunkt« gehalten. Der »Ort« bezeichnet das Ende einer Abbaustelle, also jenen Punkt, bis zu dem sich die Bergleute vorgearbeitet hatten. Wer »vor Ort« war, der befand sich dort, wo gerade gebohrt, gegraben oder geschaufelt wurde – also meistens unter Tage, mitten im Geschehen.
Irgendwann ist dieses »vor Ort« aus den Tiefen des Bergbaus in die Höhen des Journalismus aufgestiegen. Plötzlich waren Reporter »vor Ort«, und zwar nicht nur, wenn sie über ein Grubenunglück zu berichten hatten, sondern praktisch ständig und überall. Heute hat das zugegebenermaßen praktische »vor Ort« das etwas umständlichere »am Ort des Geschehens« weitestgehend verdrängt. »Unser Reporter berichtet live vor Ort« ist zweifellos kürzer als »Unser Reporter berichtet live vom Ort des Geschehens«.
Aber ist kürzer tatsächlich besser? Seit Jahrzehnten schon ereifern sich Sprachpfleger über den Gebrauch des Ausdrucks »vor Ort«. Ihr Eifer blieb jedoch wirkungslos. Die kompakte Wortverbindung aus der Bergmannssprache hat sich durchgesetzt und ist heute aus der Nachrichtensprache nicht mehr wegzudenken. Dass Fachbegriffe und Wort-verbindungen aus bestimmten Bereichen entlehnt und verpflanzt werden, ist keineswegs ungewöhnlich. So wie sich der »Ort« von der ursprünglichen Schwertspitze zum Standpunkt und zur Siedlung erweitert hat, so hat sich »vor Ort« von seiner Unter-Tage-Bedeutung zu einer allgemeinen »Am-Ort-des-Geschehens«-Definition ausgedehnt.
Vor holprigen Konstruktionen wie »jemanden von vor Ort informieren« ist allerdings abzuraten.
[w] wohlgesinnt/wohlgesonnen
Die richtige Form heißt »wohlgesinnt«: Ich bin
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