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Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3

Titel: Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod - Folge 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastian Sick
Vom Netzwerk:
Beispiel ein System aus sozialen Kontakten. Geheimdienste haben ein Netz von Informanten, und Osama Bin Laden hat ein Netz von Terroristen, die Qaida, das gefürchtetste Terrornetz der Welt.
     
    Das Wort »Netzwerk« ist ein Anglizismus, genauer gesagt ein Übersetzungsfehler. »Network« bedeutet Geflecht, Netz, man könnte auch Maschen-, Knüpf- oder Flechtwerk sagen, wenn man die Zweisilbigkeit unbedingt erhalten will, aber eben nicht Netzwerk. »Railway network« heißt auf Deutsch immer noch Eisenbahnnetz, nicht Eisenbahnnetzwerk.
    Die mehr am Englischen als am Deutschen orientierte Computerfachsprache hat den Begriff Netzwerk derart populär gemacht, dass viele glauben, wann immer etwas Technisches oder etwas von Menschen Organisiertes gemeint sei, müsse es Netzwerk heißen.
    Bei Zusammensetzungen mit »-werk« im Sinne von »Arbeit«, »Schaffen« erfüllt das Bestimmungswort die Funktion, das Werk genauer zu beschreiben. »Backwerk« ist das Werk des Bäckers, »Feuerwerk« das Werk des Feuers, »Tagewerk« die Arbeit eines Tages und »Handwerk« das Werk der Hände. Demzufolge müsste ein »Netzwerk« das Werk eines Netzes sein, es ist aber das Netz das Werk eines Knüpfers oder Flechters. Es wäre genauso falsch, plötzlich von »Brotwerk« statt von »Backwerk« zu sprechen. Netz und Brot sind das Ergebnis, nicht aber die Zutaten oder Urheber eines Werks.
    Die Computerwelt, die uns in so reichem Maße mit »Netzwerken« beglückt, hat den Begriff aus der klassischen Nachrichtentechnik übernommen, in der ein »Netzwerk« die Zusammenschaltung elektrischer Bauelemente bezeichnet, die ein Eingangssignal zu einem Ausgangssignal verarbeitet. Hier mag der Begriff seine Berechtigung haben, daher steht er auch im Wörterbuch. Ein solches Netzwerk ist im Englischen übrigens ein »circuit« und kein »network«.
    [n] Neugier/Neugierde
    Zwischen »Neugier« und »Neugierde« besteht zwar ein klanglicher, aber kein qualitativer Unterschied. Beide Formen sind standardsprachlich korrekt und als gleichwertig anzusehen.
    Dasselbe gilt auch für die Wörter »Begier« und »Begierde«; auch hier sind beide Formen richtig und gleichbedeutend. »Begierde« ist allerdings die häufigere Form, »Begier« gilt als gehoben und ist dementsprechend selten anzutreffen.
    Indes gibt es das Wort »Gierde« nicht allein, unsere Sprache kennt nur die »Gier«. Andere »gierige« Zusammensetzungen wie Beutegier, Blutgier, Geldgier, Habgier, Mordgier, Raffgier gibt es nur mit »Gier«, nicht mit »Gierde«.
    Einen klangähnlichen Fall stellt das Wortpaar Zier/Zierde dar. Auch hier sind zwei bedeutungsgleiche Formen existent, von denen die eine ebenso gut und richtig wie die andere ist.
    [o] offiziell/offiziös
    »Offiziell« bedeutet amtlich, förmlich, feierlich. Das wissen die meisten Menschen auch, daher wird dieses Wort selten falsch gebraucht.
    Anders verhält es sich dagegen mit »offiziös«. Hier glauben viele, es handele sich noch um eine Steigerung des Wortes »offiziell« und sei also geradezu höchst offiziell. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: Offiziös bedeutet halbamtlich, nicht verbürgt, also eher inoffiziell als offiziell.
    Wenn sich ein Journalist auf »offiziöse Quellen« beruft und dies auch wirklich meint, so hat er entweder einen Insider-Tipp bekommen oder einfach nur irgendwo ein Gerücht aufgeschnappt, das zu überprüfen er noch keine Gelegenheit hatte.
    [p] Platzangst/Raumangst
    Das Wort »Platzangst« wird umgangssprachlich oft im Sinne von Angst vor Enge, vor Gedränge und vor geschlossenen Räumen gebraucht. Viele Menschen sagen zum Beispiel, dass sie in Fahrstuhlkabinen Platzangst bekämen. Hier wird Platzangst folglich mit Angst vor »zu wenig Platz« gleichgesetzt.
    Tatsächlich aber ist Platzangst etwas anderes, nämlich die Angst vor weiten, offenen Plätzen, vor »zu viel Platz« also. Der Fachterminus für Platzangst lautet Agoraphobie. Agora ist griechisch und bezeichnet einen öffentlichen Platz.
    Die Angst vor geschlossenen Räumen wird in der Fachsprache Klaustrophobie genannt, darin steckt das lateinische Wort claudere, welches »abschließen« oder »einschließen«bedeutet. Die deutsche Bezeichnung für Klaustrophobie lautet Raumangst.
    Dieses Wort ist den wenigsten bekannt, es steht nicht einmal im Duden. Die meisten Menschen sprechen von »Platzangst«, wenn sie Klaustrophobie meinen. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens ist die Angst vor Enge weiter verbreitet als die Angst vor

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