Der David ist dem Goliath sein Tod

von einem geistig behinderten Jungen erledigt, weil Lutz ihm erzählt, die Treppen seien ein Pony, das unbedingt mit einem nassen Schrubber gestreichelt werden müsse.
    Am schlimmsten ist jedoch, dass er Haustürgeschäfte für 1&1 macht.
    Er kommt gegen drei Uhr früh, und er geht nur zu alten Leuten. Aber auch 90-jährige Damen, deren einziges technisches Equipment aus einem Doppelzentner lachsfarbener Brokatkissen besteht, schließen zuhauf DSL-Verträge bei ihm ab. Alte Damen haben Angst vor ihm. Ich habe Angst vor ihm. Jeder hat Angst vor ihm. Sogar Lutz.
    Wenn er an einer spiegelnden Fläche vorbeigeht, bleibt er stehen, starrt sich an und sagt: »Ey, bleib ruhig, Kumpel, kein Grund, krass draufzukommen hier, ich bin schon wieder weg.«
    Â»Tag, Lutz«, sagte ich. Bei Lutz halte ich es knapp. Er ist riesig wie ein Bauernschrank. Er ist bemalt wie ein Bauernschrank. Auf seine Finger sind Buchstaben tätowiert, die den Satz »VOLL AUF FRESSE« bilden würden, aber durch den Umstand, dass der Mensch nur zehn Finger hat, steht da lediglich VOLL AUF FRE.
    Gut, da hätte er vorher drüber nachdenken können, aber ich werde nicht derjenige sein, der ihm das mitteilt. Wir hatten nämlich schon mal ein Gespräch, in dessen Verlauf Lutz Folgendes sagte:
    Â»Weißt du, was ich mal sehen will?«
    Â»Nein«, antwortete ich.
    Â» Schindlers Liste in 3-D.«
    Â» Schindlers Liste hatten wir ja wohl schon mal in 3-D«, sagte ich.
    Das war natürlich ironisch gemeint. Ich muss das nicht erklären. Dachte ich.
    Lutz marschierte daraufhin ins Cinestar.
    Zwei Stunden später kehrte er blutverschmiert zurück, pochte an meine Wohnungstür und brüllte: »DU LÜCHNER!«
    Ich stellte mich tot, das Kind war in den Brunnen gefallen, und da, wo einst das Cinestar stand, ist heute ein Getränkemarkt.
    Â»Hör mal«, sagte Lutz und streckte mir das Aquarium entgegen. »Die haben mir den Strom abgestellt. Du musst ein bisschen auf den Fisch aufpassen. Das Aquarium muss Saft haben. Pumpe und so. Und aufpassen, Kleiner. Das ist eine Tanganjika-Cichlide. Robustes Tier, aber stolz. Anmutig. Obacht. Ist das verstanden worden?«
    Selten so genickt.
    Â»Hat er auch einen Namen?«, fragte ich in der Hoffnung, so etwas wie Fürsorge zu demonstrieren.
    Â»Goliath«, sagte Lutz.
    Â»Er heißt Goliath«, hakte ich nach.
    Â»Goliath«, sagte Lutz. »Dieser Fisch ist mein bester Freund. Bis später. Muss jetzt zu EON, Geld einzahlen.«
    Da war Widerrede keine Option. Ich nahm ihm das Becken ab.
    Das Aquarium war schwer. Im Inneren dümpelte ein vage gestreiftes, witzloses Stück gallertartiger Masse. Goliath, der oder die Tanganjika-Cichlide.
    In der Ecke des Aquariums befand sich eine kleine Höhle, die einem Scherzartikelkackhaufen nicht unähnlich war.
    Ich hatte mal einen Hund.
    Der Entertainmentfaktor von Hund zu Fisch ist, als würde man den Karneval in Rio mit einem Papstbegräbnis vergleichen.
    Und ich kannte mich ein bisschen mit Fischen aus. Als ich 13 war, hatte ich mal eine Saugschmerle, das sind so Fische, die unentwegt die Aquariumscheibe entlanggleiten, sich mit ihren dummen Gesichtern festsaugen und nicht vorhandene Algen abfressen.
    So eine Saugschmerle kostete seinerzeit vier Mark, und weil ich nie Geld für die neueste Ausgabe der YPS hatte, erstellte ich ein Geschäftskonzept, das mich hau ruck reich machen würde und das vorsah, im großen Stil Saugschmerlen zum Reinigen von Schaufenstern einzusetzen.
    Es gab nur noch zwei Hürden zu nehmen.
    Die Viecher hielten an der frischen Luft nur Minuten durch, bevor sie die Grätsche machten und zu Boden plumpsten – und ich benötigte das Kapital zur Anschaffung von zwanzigtausend Saugschmerlen, denn die Karstadtfenster sind groß. Wenn ich, so errechnete ich, alle zwei Minuten einen verstorbenen Saugkameraden durch einen frischen ersetzte, würde die Reinigung einer Schaufensterfront nicht länger als eine Woche und kaum mehr als zwölftausend Mark kosten.
    Karstadts alte Fensterreinigung machte es allerdings für 15 Mark. In einer Stunde.
    Es war nicht direkt ein Kopf-an-Kopf-Rennen.
    Fazit: Fische bringen nur was, wenn sie viereckig und paniert sind.
    Goliath, die oder der Pflege-Cichlide, würde einen schweren Stand bei mir haben. Allen Hass auf Lutz, die Abrissbirne, würde ich auf den rückgratlosen Goliath lenken, denn Fische