Der Deal
Nachmittags über den leeren Parkplatz ging. Als er in seinem Wagen saß, schaute er sich zur Tür um, und sie winkte ihm zu, aber er konnte sie wegen der Spiegelung wahrscheinlich nicht sehen.
Jedenfalls winkte er nicht zurück.
Sie drehte den Türknopf, schloß die Tür ab und schlenderte zurück zu ihrem Schreibtisch, wo sie Platz nahm und in ihre Handtasche griff, um die Marlboro-Packung herauszuholen.
Linda hatte recht, dachte Hardy. Ich würde Nika nicht hübsch nennen. Es wäre so, als ob man den Grand Canyon hübsch nennen würde, oder Michelangelos David. Natürlich konnte er sich an sie von der Beerdigung erinnern, so wie sie ihn angestarrt hatte. Jetzt wußte er wenigstens einen Namen – Nika Polk.
Wo war sie hergekommen, fragte er sich, und was hatte der traurig aussehende Sam Polk mit seinen Bassetohren an sich, daß sie so an ihm hing?
Er schloß die Augen und versuchte, sie sich vorzustellen. Sie war groß, größer als ihr Mann, vielleicht ein Meter siebzig, tiefschwarzes Haar und ein klassisches, strenges mediterranes Gesicht. Ein faszinierendes Gesicht. Die halb geöffneten Lippen, die sie immer wieder leckte.
Der einzige Grund, weshalb Hardy Frannie aufgefangen hatte, als sie ohnmächtig wurde, war der, daß Nika direkt hinter ihr gestanden hatte und er immer wieder seinen Blick abwenden mußte, sich zwingen mußte, woanders hinzuschauen. Frannie hatte in seiner Sichtlinie gestanden. Es war Glück gewesen.
Sie hatte ein einfaches schwarzes Wollkostüm getragen, einfach geschnitten, das aber dennoch nicht die Fülle ihrer Brüste über der Taille verbarg, die Hardy glaubte mit seinen beiden Händen umfassen zu können.
Er schüttelte den Kopf. Nein, Linda, dachte er, Nika ist gar nicht so hübsch.
Er ließ den Motor an. Er wollte noch einmal zu Cruz fahren und mit ihm reden. Außerdem wäre es angenehmer, sich zu bewegen.
Also hatte Sam Polk vor etwa sechs Monaten Nika geheiratet. Er sah aus wie fünfundfünfzig. Sie war Mitte Zwanzig, vielleicht etwas älter. Es muß Geld sein, dachte Hardy, wenigstens zum Teil. Und nachdem sie geheiratet hatten, hatte Polk Schwierigkeiten mit seiner Firma bekommen. Die Vermutung, daß diese Schwierigkeiten zu Hause Probleme verursacht hatten, war wohl nicht allzu weit hergeholt.
Aber wie kam er darauf? Es hatte keine Anzeichen für Schwierigkeiten zwischen Sam und Nika gegeben. Was hatte ihn auf diesen Gedanken gebracht?
Und dann fiel ihm ein, wie sie ihn auf dem Friedhof mit ihren Blicken fixiert hatte. Er kannte diese Blicke – der Flirt war kein Spiel, sondern todernst. Die Augen von Nika Polk waren nicht die Augen einer glücklich verheirateten Frau.
Hatte sie jemals Eddie Cochran so angesehen?
Kapitel 11
John Strout machte seinen persönlichen Standpunkt gleich im ersten Monat, in dem er das Amt des Leichenbeschauers von San Francisco bekleidete, sehr deutlich. Die Verantwortung dieser Position liegt gemäß Artikel 27491 des Gesetzbuchs der Vereinigten Staaten darin, die »Ursache, die Umstände und die Art des Todes« von Personen, die in einem bestimmten Zuständigkeitsbereich sterben, festzustellen. Und für die »Art des Todes« gibt es nur vier Möglichkeiten: natürliche Ursachen, Unfall, Selbstmord oder Tod durch Einfluß einer anderen Person.
Bei der Ausführung dieser Tätigkeit können jedoch andere – häufig politische – Elemente ins Spiel kommen. Strout, ein großer, leise sprechender Gentleman, der ursprünglich aus Atlanta kam, ließ niemanden und nichts seine Beurteilung über Todesursachen beeinflussen, und so hatte er sich schnell entschieden, denjenigen, die ein rasches und ungenaues Urteil einem langsamen und korrekten vorzogen, seinen Standpunkt klarzumachen.
Das Opfer war in jenem Fall der Neffe des Bürgermeisters gewesen und – was nicht der erstaunlichste Zufall der Welt war, angesichts der Größe der Stadt – der Schwager eines der Vorstandsmitglieder der Stadtverwaltung. Strout kam an jenem Morgen zur Arbeit und fand die Leichenhalle voll mit Leuten von den Medien wie auch Mitarbeitern des Bürgermeisters und des Mitglieds des Stadtverwaltungsvorstands.
Strout blickte kurz auf die Leiche, bevor er in sein Büro ging. Dorthin folgte man ihm, um eine Erklärung zu bekommen. Er dachte, dies sei der richtige Zeitpunkt, um damit herauszurücken.
Ein Reporter vom Chronicle fragte ihn schließlich frei heraus und fast schon auf eine beleidigende Art, ob er vorhabe, in absehbarer Zukunft überhaupt eine
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