Der Deal
Mußestunden, also ignorierten sie die Tatsachen, aber die kamen trotzdem zum Vorschein.
Und jetzt lag der Junge hier mit gebrochenen Knochen, notdürftig zusammengeflickt. Und nur sich selbst hatte sie die Schuld dafür gegeben.
»Danke, Gott, daß er noch lebt«, flüsterte sie. Es war ein echtes Gebet, ein Dank an Gott. Seit sie die Nachricht von Eddies Tod erhalten hatte, hatte sie das nicht mehr getan. Und auch jetzt kam es unbewußt aus ihr heraus, einfach nur Gott danken, daß nicht auch Steven von ihr gegangen war.
Langsam ging sie den Flur entlang und dachte, daß sich das Haus leer anfühlte. Kam das daher, weil Frannie heute zu sich nach Hause gegangen war? Nein, das Haus spiegelte wohl eher ihren eigenen Zustand wider – leer fühlte sie sich selbst.
Wieder ertönte ein Schnarchen aus Eds Zimmer. Sie hörte, wie er sich im Bett herumdrehte. Steven lag auf dem Rücken und atmete gleichmäßig. Sie beugte ihr Gesicht über seines und atmete die süß duftende Luft ein, die aus seinem Mund kam. Das war noch nicht der Atem eines Erwachsenen, es roch eher nach diesem wunderbaren Duft, der aus dem Mund eines Babys kam. Die Luft im Himmel, dachte sie manchmal, mußte so riechen wie der Atem eines Babys.
Ganz sachte, so sanft, daß Steven sich nicht einmal bewegte, berührte sie die heile Seite seines Gesichts. Dann zog sie sich einen Stuhl neben sein Bett heran und zwang sich, über die Dinge nachzudenken, die sie in ihrem Leben ändern wollte. In den letzten Jahren hatte sie wirklich nicht mehr genug nachgedacht. Man kann tatsächlich den ganzen Tag sehr beschäftigt sein und trotzdem nicht genug richtige Dinge tun. Es war möglich, daß sie und Ed nachlässig geworden waren, moralisch nachlässig und selbstsüchtig.
Sie ließ ihren Kopf auf das Bett sinken, an seine Hüfte gelehnt. So blieb sie – sie wußte nicht, wie lange – und döste vor sich hin, bis Steven eine Bewegung machte und stöhnte. Sie schreckte auf und berührte leicht sein Gesicht.
»Mom?« fragte er.
»Ich bin da, Steven. Ich bin für dich da.«
Kapitel 21
»Alphonse Page?« fragte Hardy, leicht überrascht, einen Namen zu hören, der ihm zuvor noch nie begegnet war.
Glitsky, der gerade unterwegs war und einen neuen Mordfall bearbeitete, hatte wie versprochen bei Hardy vorbeigeschaut. Und das war der Grund, warum Hardy schon das dritte Mal hintereinander um sieben Uhr früh aufgestanden war.
»Alphonse Page. Darüber gibt es kaum einen Zweifel.«
Sie saßen in Hardys Küche, vor dem Fenster hing ein dünner Nebel, der mit etwas Glück aufreißen würde.
»Denkst du, daß er Cochran getötet hat?«
Abe schüttelte seinen Kopf. »Ich bin mir ziemlich sicher, daß er Linda Polk getötet hat, und das war ein ganz anderes Vorgehen als bei Cochran. Er hat ihre Kehle durchgeschnitten.«
»Geld ist das Motiv, oder?«
»Ja, langsam wird es seltsam.«
Hardy wartete.
»Ihr Vater hat die Polizei gerufen – und das ist wohl derselbe Typ, von dem du mir erzählt hast, hm?«
»Klein, trauriges Gesicht, sieht etwas dämlich aus?«
»Genau das ist er.«
»Was hat er am Sonntag im Büro gemacht?«
»Seiner Aussage nach haben ihn Schuldgefühle hingetrieben, weil er die ganze Woche nicht im Büro aufgetaucht war, und er wollte noch etwas für Montag früh vorbereiten, so etwas in der Art.«
»Oh, natürlich.«
»Ja, ich weiß.«
Die beiden Männer nickten sich in gegenseitigem Einverständnis zu.
»Es war also«, fuhr Glitsky fort, »kein Geld im Spiel, obwohl sich in dem Büro ein Safe befindet, der verschlossen war, und das Opfer, Linda, in einer Blutlache genau vor dem Safe lag.«
»Er hat den Safe also geleert.«
»Was auch immer davor geschehen sein mag, auf jeden Fall war er leer, als Polk den Safe vor meinen Augen geöffnet hat. Das heißt, es müßte entweder er selbst oder vielleicht Alphonse den Safe geleert haben.«
»Was meinst du mit ›vielleicht‹? Aus welchem Grund hätte sie denn sonst abgestochen werden sollen?«
»Diz. Das Labor hat angegeben, daß sie voller Sperma war und man drei oder vier Haare in ihrer Schrittgegend gefunden hat, und die scheinen von einem Schwarzen zu stammen.«
»Mein Gott, ist sie vergewaltigt worden?«
»Das weiß ich nicht, aber es schwächt das Geldmotiv als einziges Mordmotiv ab. Auf jeden Fall hatte sie ein bis zwei Stunden, bevor sie ermordet wurde, Sex.«
»Aber was machte sie in dem Büro, wo der Safe ist? Das Ganze muß etwas mit Geld zu tun haben.«
»Nein, so kannst
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