Der Deal
wo sie sie hätte akzeptieren können. Sie erwartete immer noch, daß sie nach Hause kommen, das Essen zubereiten würde, und dann würde sie die Tür schlagen hören und gleich darauf Eddies heitere Stimme – »Liebling, ich bin zu Hause« –, mit der er seit ungefähr einem Monat Ricky Ricardo nachgeahmt hatte.
Also nickte sie nur brav mit dem Kopf, versuchte auf alle Fragen höflich zu antworten und erklärte, daß es ihr gut gehe.
Es war merkwürdig. Bis zu dem Zeitpunkt heute, als der Verdacht laut geworden war, daß Eddie vielleicht umgebracht worden war, hatte Frannie sich langsam davon überzeugen lassen, daß ihr Mann tatsächlich Selbstmord begangen hatte. Und jedesmal, wenn diese sogenannte Wahrheit ihr zu Bewußtsein kam, hatte sie noch mehr geschmerzt. Wenn Eddie Selbstmord begangen hatte, dann hieß das, daß er sie nicht so sehr geliebt hatte, wie er behauptet hatte und wie es ihre Gefühle ihr bestätigt hatten.
Aber man konnte nicht gegen Tatsachen angehen. Wenn er sich selbst umgebracht hatte und die Polizei Untersuchungen anstellte, die das bestätigten, dann war alles, von dem sie immer gedacht hatte, es gehöre ihnen, plötzlich eine Lüge. Und zu was wurde dann das Baby, das sie in sich trug?
Wieder und wieder wälzte sie die Gedanken, immer wieder die gleichen, wie eine Zunge immer wieder zu einem Loch im Zahn zurückkehrt. Sie zwang sich, den Schmerz zu fühlen und sich so vielleicht an ihn zu gewöhnen. Eddie hatte sie zurückgestoßen. Eddie hatte sie nicht so geliebt, wie sie geglaubt hatte.
Aber dann, als sie heute morgen die ersten offiziellen Zweifel gehört hatte, fegte plötzlich ein frischer Wind durch ihren Geist. Wenn die Polizei sich der Sache nicht einmal sicher war, dann war sie doch keine Närrin, wenn sie an die Selbstmordversion nicht glauben wollte. Nie hätte sie aufhören sollen, auf ihr Herz zu hören.
In der Erinnerung erschien ihr der Moment, als sie sich geliebt hatten und sie das Baby empfangen hatte. Sie wußte, daß es jener Samstagmorgen gewesen war, an dem sie nach der Dusche wieder ins Schlafzimmer gekommen war zu Eddie, der noch schlief. Da war nichts Unechtes gewesen in seiner Antwort auf ihr Begehren. Und danach, als sie zusammen im Bett lagen, hatte er sie überall sanft berührt und beknabbert. »Ich liebe deine Augenlider«, hatte er gesagt. »Ich liebe deinen Ellenbogen.« Und dann hatte er gelacht. »Ich liebe diesen kleinen Fleck, wie nennst du das?« – ganz oben an der Hinterseite ihres Beines.
Sie mußte einfach glauben, daß er sie liebte, er liebte sie. Und wenn er sie liebte, dann beging er keinen Selbstmord.
Ihr eigener Zorn traf sie völlig unerwartet. Davor hatte sie bis heute, seit Eddie tot war, nur diese erstarrte, schreckliche Verlorenheit gefühlt. Wie eine Schlafwandlerin war sie umhergelaufen, hatte mit Erin gegenseitigen Trost gesucht und sich soweit wie möglich vom Denken abgehalten.
Aber jetzt um zehn vor fünf, während sie den Schreibtisch für den morgigen Tag aufräumte, mußte sie ihren Kopf aufstützen, so stark überkam sie die Welle des Zorns. O Eddie! Fast hatte sie laut gesprochen.
Denn nun kam ihr mit einem Schlag die nächste Wahrheit zu Bewußtsein. Zuvor, als sie an einen Selbstmord geglaubt hatte, hatte es keine Rolle gespielt. Aber nun, falls ihn jemand umgebracht hatte, hatte sie eine ziemlich genaue Vorstellung davon, warum man es getan hatte.
All seine Bemühungen, sein ganzer Idealismus, seine Besuche bei Cruz und Polk, mit denen er versucht hatte, sie umzustimmen, kleine perfekte Eddies aus ihnen zu machen, die ein faires Spiel spielten und das Rechte taten.
O Eddie, dachte sie, und sie zitterte jetzt, warum konntest du sie nicht in Ruhe lassen und genauso sein wie jeder andere auch? Ich habe dir hundertmal gesagt, daß dabei nichts Gutes herauskommt. Wenn du auf mich gehört hättest, dann wärst du jetzt noch am Leben.
Das Zittern hörte auf. Wieder kam jemand vorbei und fragte, ob alles in Ordnung sei.
Im Bus auf der Heimfahrt dachte sie an das Geld von der Versicherung. Zum ersten Mal dachte sie daran, und wie ihr Zorn eben löste auch dieser Gedanke Schuldgefühle bei ihr aus.
Vielleicht ist das der natürliche Prozeß, dachte sie. Kleine Dinge verdrängen nach und nach den Schmerz, ja, das war wahrscheinlich der natürliche Gang, der Beginn der Heilung, aber das verringerte ihre Schuldgefühle nicht.
Um das Geld machte sie sich eigentlich keine großen Gedanken. Doch, einen Moment lang kam
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