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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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irgendwelche Forschungsgruppen tätig. Manche Wissenschaftler arbeiteten tatsächlich auch nur nachts, entweder, weil ihre Experimente es erforderlich machten, oder weil es ihnen so besser paßte.
    Er fragte eine Gruppe von Jungdoktoren und entdeckte Ignacio Mendoza schließlich in einem Hörsaal im Noyes-Laboratorium. In dem Hörsaal standen ungefähr neunzig Klappstühle in sechs abgestuften Reihen, die steil zu einer Rednertribüne abfielen. Ignacio Mendoza, der ein pinkfarbenes und grünes Hawaiihemd, eine Turnhose, Sandalen und schwarze Socken trug, hielt eine Vorlesung, während seine Zuhörerschaft Snacks vom Schnellimbiß Kentucky Fried Chicken verzehrte. Die pinkfarbenen Flamingos auf seinem Hawaiihemd bewegten sich auf einem ziemlich schmutzigen Moosteppich. Das Hemd war mit Speiseresten, Chemikalien und Schweißflecken übersät.
    Hinter dem Wissenschaftler standen drei riesengroße grüne Wandtafeln, die bestimmt fast sechs Meter hoch waren und annähernd bis an die Decke reichten. Die Tafeln waren mit bizarr wirkenden chemischen Formeln bedeckt, und Ignacio Mendoza hätte die Tafelfelder ganz hoch oben normalerweise unmöglich erreichen können, obgleich er einen Zeigestock in der Hand hielt, der mindestens so lang war wie eine Tiefseeangel. Das Problem wurde dadurch gelöst, daß der peruanische Chemiker einen Schalter betätigen konnte, wodurch sich die Tafeln in einer Führungsschiene mechanisch nach oben oder unten bewegen ließen.
    Ignacio Mendoza hatte Mario Villalobos nicht hereinkommen sehen. Die Studenten kamen und gingen, wie es ihnen gerade einfiel, während Ignacio Mendoza sie recht zwanglos über die Umwandlung von Sonnenenergie unterrichtete.
    Der peruanische Chemiker sagte gerade: »Ein außerordentlich Faszinierendes redox-aktives Phänomen ist der Delta-Delta-Stern-Übergang des Octachlorodirhenatdianions in seinen angeregten Singulettzustand. Die Energie dafür beträgt eins-Punkt-sieben-Fünf Elektronenvolt, die mittlere Lebensdauer in Acetonitril bei Fünfundzwanzig Grad Celsius einhundertvierzig Nanosekunden. Verschiedene Elektronenakzeptoren wie Tetracyanidaethylen, Chloranil und das Phosphor-zwölf-Wolframattrianion löschen die Delta-Delta-Stern-Lumineszenz in Lösungen und produzieren dabei das Octachlorodirhenatanion und den reduzierten Akzeptor.«
    Mario Villalobos gefiel dieser Sound. Das Ganze klang mysteriös und hoffnungsvoll und besänftigend wie die Popmusik in seiner Jugend, eine Musik, bei der er zwar seit einiger Zeit nostalgische und sentimentale Augenblicke erlebte, der er sich allerdings auch wieder nur mit einiger Angst hingab, weil sie ihn zugleich an sein gescheitertes und verlottertes Leben erinnerte.
    Die reichlich zwanglose Vorlesung war eine halbe Stunde, nachdem der Detective gekommen war, zu Ende. Zum ersten Mal in zweiunddreißig Stunden hatte er es geschafft, ein bißchen zu dösen. Er blieb in seinem Stuhl sitzen, bis alle Studenten weg waren, Ignacio Mendoza sammelte gerade seine Unterlagen ein, als er den Detective in der obersten der ansteigenden Reihen des Hörsaals bemerkte. »Da siiind Sie ja wieder, Sergeant Villalobos«, sagte der Peruaner.
    »Ja.«
    »Haben Siiie heute nacht Football gespielt?«
    »Ich hatte einen Unfall, Professor. Ich bin mit dem Killer zusammengerasselt, hinter dem ich her bin.«
    »Ach nee! Klasse!«
    »Er hat mich zusammengeschlagen. Es war nicht Professor Feldman.«
    »Natürlich niiicht. Wer war es?«
    »Ich weiß es nicht. Er konnte entkommen. Er hatte eine Spritze mit Natriumcyanid für die kleine Tunte bei sich.«
    »Mein Gott!« sagte der Chemiker. »Dabei hab iiich wirklich gedacht, das sei alles dummes Zeug!«
    »Ist es auch.«
    »Aber Sie siind der Sache auf der Spur! Mit Natriumcyanidlösung bringen sich Naturwiissenschaftler am liebsten um. Sie kommen da langsam auf den Punkt!«
    »Glaub ich nicht. Ich fühl mich verprügelt und kaputt und völlig überfordert. Ich bin so weit, daß ich meinem Boß den üblichen Schwindel unterjubel, ›Die Polizei steht vor einem Rätsel, aber die Verhaftung steht unmittelbar bevor‹, und die ganze Sache schludern laß.«
    »Was soll das heißen, schludern lassen?«
    »Der Kerl, der mit dieser Drecksgeschichte erpreßt werden sollte, war gar nicht der Nobelkandidat aus Stanford. Es war Jan Larsson, Mitglied des Nobelkomitees.«
    »Mein Gott!« schrie Ignacio Mendoza.
    »Als Mann, der so genau weiß, daß Gott nicht existiert, nehmen Sie seinen Namen ziemlich oft in den Mund«,

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