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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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nicht nur eine Kreditkarte gefehlt, sondern auch eine billige Armbanduhr. Ihm wäre es lieber gewesen, sie hätten die Leiche nicht verbrannt.
    Er wußte, was passieren würde, wenn er die Detectives in Pasadena auf diesen Stand der Dinge aufmerksam machen und ihnen zu verstehen geben würde, daß sie unter Umständen einen ungelösten Krimi am Hals hätten. Sie würden danke sagen und ihn höflichst rausschmeißen. Er würde an ihrer Stelle dasselbe tun. Eine Armbanduhr, die vielleicht verlorengegangen war oder irgendwo bei einem Juwelier rumlag? Eine Kreditkarte, die der alte Schnüffler irgendwann irgendwo verloren haben konnte, wenn er wieder mal in der Innenstadt von Los Angeles unterwegs war und seine Nutten aufriß? Die Detectives in Pasadena würden ihm sehr schnell verklickern, daß es einzig und allein das Problem von Mario Villalobos wäre, wenn Lester Beemer irgendeine Verbindung zu Missy Moonbeam gehabt haben sollte und mit ihrem Tod in Zusammenhang gebracht werden müßte. Das kleine Kind vom Gott der Naturwissenschaft in Lester Beemers Brust hatte bloß deshalb gestreikt, weil er es mit seiner dreihundertsten Hure des Jahres in einem Motelzimmer offenbar zu toll getrieben hatte. Jedes weitere Problem war nicht ihr Problem.
    Nachdem er in der Spitznamenkartei vergeblich nach einem kleinen Schwulen namens Dagwood gesucht hatte, beschloß er, den Typ auf eigene Faust zu suchen.
    »Hey, Charlie«, sagte er zu dem schwarzen Lieutenant der Detectives, der sich in die Sportseite vertieft hatte und dabei ein Sandwich mit Eiersalat aß. »Heute abend mach ich 'n Zug durch die Gemeinde.«
    »Und da hab ich bis heute geglaubt, daß du überhaupt nie trinkst«, sagte der Lieutenant, ohne aufzublicken.
    »Ich denk nur, ich sag's dir vorher, falls mich die Typen von der Hollywood-Sitte erkennen. Ich werd mich in 'n paar Homobars in Hollywood mal nach 'nem bestimmten Schwulen namens Dagwood umgucken. Ich denk, ich sag dir das lieber gleich, bevor du das hintenrum hörst und Angst kriegst, ich könnt schwul werden.«
    »Dein Sexualleben interessiert mich überhaupt nicht«, sagte der Lieutenant, nach wie vor von seiner Sportseite völlig gefesselt. »Nicht, solange du nicht in Kleidern zum Dienst kommst.«

 

    9. KAPITEL
    Tuntenkram und Kaviar
    Mario Villalobos gab sich keine Mühe, sein Äußeres zu verändern. Schließlich ging es hier ja nicht um eine Geheimdienstoperation, und abgesehen davon war er sowieso der letzte, den man sich für eine Geheimdienstoperation aussuchen würde. Er stand vor dem Spiegel und machte sich klar, daß er in genau acht Tagen zweiundvierzig Jahre alt werden würde. Die reiferen Jahre waren gar nicht so schlimm. Nicht schlimmer als Herpes oder Tuberkulose. Seine Seele wollte ihm hin und wieder einreden, er wäre erst zweiunddreißig. Sein Körper jedoch, der ziemlich durchhing und längst nicht mehr in allerbester Verfassung war, präsentierte ihm jedes seiner zweiundvierzig Jahre einzeln. Das Gesicht, das ihm aus dem Spiegel entgegenblickte, erschreckte ihn ein bißchen. Das Haar war fast völlig grau und fiel ihm büschelweise aus. Unter den Augen bildeten sich Tränensäcke, zu beiden Seiten des Mundes zeichneten sich tiefe Falten ab, und zwischen Kinn und Adamsapfel konnte er mit den Fingern einen ganzen Lappen fast gefühlloses lockeres Fleisch kneten. Er sah ins Waschbecken. Er zählte siebzehn ausgefallene Haare, die da lagen.
    Natürlich hätte er angesichts dessen, was er da so sah, über sein verpfuschtes Leben am liebsten losgeheult. Vor allem wegen seiner beiden Heiraten und wegen der beiden Söhne, die ihm völlig fremd waren. Der eine Sohn ignorierte ihn bloß, aber der andere verabscheute ihn sogar. Sein Sohn Alec gehörte zu den Jungen, die viele Dinge verabscheuten, am meisten allerdings sich selbst. Er war ein wenig attraktiver Junge, schwächlich und blutarm, und als Heranwachsender war er drogensüchtig geworden und auf Veranlassung von Mario Villalobos gegen den Widerstand seiner Frau in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Es war der letzte und entscheidende Schlag gegen ihre sowieso verkorkste Ehe.
    Der Detective hatte einiges begriffen in den zwei Monaten, in denen sein Sohn im Krankenhaus lag. Erstens begriff er, daß ein Cop nicht genug Geld verdiente, um den Krankenhausaufenthalt für ein emotional labiles Kind bezahlen zu können. Zweitens kapierte er, daß sein Sohn sich derart massiv selbst verabscheute und haßte, daß der Junge wahrhaftig dringend einen

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