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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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meisten Prügel, weil ich zufällig der größte war.
    Wir wurden wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung festgenommen. Der Staatsanwalt forderte fünf Jahre Gefängnis, da die Komitees nur ein Deckmantel für den Baader-Meinhof-Terrorismus seien. Ich bekam einen Verteidiger, der wie ein Löwe für mich kämpfte und mich freibekam. Ein Jahr später wurde dieser Anwalt festgenommen und als Terrorist zu zehn Jahren Haft verurteilt.«
    Martin Beer machte eine kurze Pause, als er die anderen kommen hörte, die sich dem Wohnzimmer näherten.
    »Das war der Moment, in dem ich auf die andere Seite ging«, sagte er kurz. »Da hatte ich keine Illusionen mehr. Früher hatte ich mich immer als Deutscher gefühlt. Seit dieser Zeit aber bin ich kein Deutscher mehr. Dieses verfluchte System muß zerschlagen werden.«
    »Dürfen wir die wohlanständige Idylle stören? Wir sollten jetzt weitermachen«, sagte Friederike Kunkel, die mit den anderen hereingekommen war.
    Carl hatte bei der Zusammenkunft seinen Willen durchgesetzt.
    Eine neue Waffe, da sein Revolver auf den Grund der Elbe mußte, denn er war auf einen Wachmann abgefeuert worden.
    Das Geld am nächsten Tag auf die Hand, damit er in die Schweiz fliegen konnte. Mit anderen Worten: Sonderurlaub.
    Die Terroristen hatten Sicherheitsbedenken geltend gemacht, als sie von dem geplanten Ausflug hörten. Er hatte die Einwände mit einem Scherz abgetan: Wenn es etwas gebe, dessen man Terroristen in der Bundesrepublik wirklich nicht verdächtigen würde, wäre es das Bedürfnis, sich sofort mit der Beute aus dem Überfall zu einer Schweizer Bank zu begeben.
    Außerdem werde nicht nach ihm gefahndet.
    Sie hatten dann in der Küche offenbar eine Fraktionssitzung abgehalten und beschlossen, ihm grünes Licht zu geben. Das Ganze dauerte nur ein paar Stunden.
    Als er ins Obergeschoß hinaufging, schlief Monika schon. Er trat an ihr Bett und legte ihr die Hand auf die Stirn. Sie hatte Fieber, aber kein hohes. Wenn sie sich ein paar Tage lang schonte, würde die Wunde verheilen. Jetzt hatte sie ein weiteres besonderes Kennzeichen: eine acht Zentimeter lange grobe Narbe auf der linken Körperseite zwischen der fünften und sechsten Rippe. Er empfand plötzlich eine große Zärtlichkeit für sie, die ihn zwang, schnell aufzustehen und sich auf Zehenspitzen hinauszustehlen. Er ging ins Balkonzimmer und suchte ihre Beethoven-Sonate in E-Dur heraus, setzte sich die Kopfhörer auf und ließ sich auf das Sofa fallen, ohne das Licht anzuschalten. Er grübelte über Martin Beer nach, der ihm als Vorwand diente, die Gedanken an Monika zu verscheuchen.
    Der Bericht über die Polizisten, die Verbrechen begingen, um ein paar Spontis festzunehmen, um sie dann verprügeln, verurteilen, registrieren, erkennungsdienstlich behandeln und zu stigmatisierten Bürgern des demokratischen Staates machen zu können, und all das andere, was Beer erzählt hatte, war nach den Maßstäben des einfachen menschlichen Anstands eine vollkommen unglaubliche Geschichte. So etwas durfte im Deutschland Beethovens und Goethes nicht geschehen.
    Carl glaubte aber, was er gehört hatte. Er hatte Beer, während er sprach, immer aufmerksamer betrachtet. In seinem Gesicht hatte er eine ruhige und feste Überzeugung erkannt. Und das, was er berichtet hatte, war in sich schlüssig und überzeugend.
    Vermutlich traf es zu, daß die im Stammheimer Bunker einsitzenden RAF-Gefangenen in einer Zeit öffentlicher Erregung einer unbegründeten und unnötig grausamen Behandlung ausgesetzt gewesen waren. Hier war es richtig gewesen, dagegen zu protestieren. Das war eine anständige und demokratische Haltung. Und bei Martin Beer hatte das zur Folge gehabt, daß man ihn mit einem Berufsverbot belegte. Er war Volksschullehrer gewesen oder hatte zumindest kurz vor der Einstellung in den Staatsdienst gestanden. Und der Staat hatte verfügt, daß man ihm die Erziehung von Kindern nicht anvertrauen könne. Und am Ende war er Terrorist geworden.
    Einerseits.
    Andererseits hatte er zwei Menschen ermordet. Er würde also lebenslänglich bekommen. Und Carl würde ihn dieser Gerechtigkeit selbst übergeben.
    Carl hatte vier Menschen getötet. Dafür hatte er die Tapferkeitsmedaille Gustavs 11. bekommen.
    Ich darf nicht durchdrehen, dachte er.
    Auf dem Flug nach Zürich hatte er nur wenig Handgepäck dabei: eine Reisetasche mit einigen Büchern und neu eingekauften Musikkassetten und den wichtigsten deutschen

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