Der demokratische Terrorist
Aussehen nach zu schließen, aufgenommen worden sein, nachdem man ihn wegen der von der Polizei begangenen Sachbeschädigung und Körperverletzung festgenommen hatte. Am Ende der zehn Tage war Martin zu dem recht sanften, nachdenklichen Mann geworden, der am Kaminfeuer gesessen und seine Geschichte mit einem Ausdruck in den Augen erzählt hatte, der zwischen Melancholie und Galgenhumor schwankte.
Die anderen Terroristen hatten Carl nie an sich herankommen lassen. Friederike Kunkel spielte unablässig die Rolle des stahlharten Chefs ohne gefühlsmäßige oder sonstige persönliche Schwächen, und »Sabine Lüders« alias Eva Sybille Arndt-Frenzel hatte auch den kleinsten persönlichen Kontakt verweigert.
Carl ertappte sich dabei, daß er zwischen den Terroristen unvertretbare Unterschiede machte. Wenn die Spezialisten von der GSG 9 drei von ihnen festnähmen, würde es Carl nicht im mindesten berühren. Er wünschte aber, daß Monika und Martin davonkämen.
Carl bat die Stewardeß um einen Cognac. Zufällig war es wieder Remy Martin, die Marke, die die »französischen Genossen«
Martin zum Geschenk gemacht hatten (war das eine Verbindung, der er nachgehen sollte?).
Ich bin schwedischer Offizier, sagte er halblaut auf schwedisch.
Es war das erstemal seit langer Zeit, daß er etwas auf schwedisch gedacht oder gesagt hatte. Seine Muttersprache kam ihm fast schon fremd vor, so lange hatte er sich jetzt schon mit einer Mischung aus gebrochenem Deutsch und Englisch behelfen müssen. Ich bin schwedischer Offizier, wiederholte er im stillen, um sich wieder zur Raison zu bringen. Ich bin dazu da, die Demokratie gegen ihre Feinde zu schützen. Die Terroristen bedrohen Schweden. Sie sind meine Feinde. Mein Auftrag ist einfach und klar umrissen. Ich nehme an einem Unternehmen teil, das ihre Aktionen stören, einen großen Teil ihrer Führungsspitze unschädlich machen und mein Land schützen soll.
Gewäsch, dachte er und kippte den Cognac so schnell in sich hinein, als wäre es Whisky. Sentimentales Gewäsch. Wenn sie wüßten, wer ich bin, würden sie versuchen, mich zu töten. Sie oder ich - das ist alles, worum es jetzt geht.
In Zürich zahlte er erneut einen kleineren Geldbetrag auf sein Nummernkonto ein, und der Kassierer, der wohl schon die absonderlichsten finanziellen Transaktionen erlebt hatte, verzog keine Miene.
Vom Hamburger Flughafen fuhr er mit einem Lufthansa-Bus in die Stadt, stieg in die U-Bahn, fuhr eine Zeitlang herum und stieg gewohnheitsmäßig fünf oder sechsmal um, bis er im Hauptbahnhof das Schließfach aufsuchte. Es enthielt einen dicken braunen DIN-A 5-Umschlag, den er sich in die Innentasche seiner Jacke steckte, bevor er zu den 25 Meter entfernten Toiletten ging.
Der Umschlag enthielt 10 000 Mark, eine Quittung für die Beute aus dem Banküberfall sowie eine kurze Mitteilung.
Man habe die Zielsetzung des Unternehmens erweitert, hieß es - genau wie Carl schon geahnt hatte. In der Breiten Straße werde es keine Fahndungseinsätze geben (klug, sehr klug, dachte Carl). Es folgte die Anfrage, ob er eine neue Waffe brauche. Die zurückgegebene Waffe wurde ihm quittiert. Ferner wurde er angewiesen, nur im Notfall zu telefonieren. Die Vorbereitungszeit eines Einsatzes gegen die konspirative Wohnung in der Breiten Straße werde mit dreißig Minuten veranschlagt (Teufel, dachte Carl, ich habe vergessen, von der Sprengladung an der Tür zu berichten). Ferner hieß es in einer unbegreiflichen Formulierung, die Behörden könnten nicht ohne weiteres neue Banküberfälle akzeptieren und erwarteten von Carl größtmögliche Vorsicht - wie war das zu verstehen? Sollten Banküberfälle etwa nachlässig und mit größtmöglicher Achtlosigkeit verübt werden? Dann eine ebenso schwerverständliche Aufforderung, im Umgang mit den fraglichen Personen große Vorsicht walten zu lassen - als ob ihm je etwas anderes in den Sinn kommen könnte.
Er riß die Mitteilung in kleine Stücke und warf sie ins Klo, spülte und vergewisserte sich, daß nichts zurückgeblieben war.
Dann ging er zum Bahnhofspostamt, kaufte Briefumschläge und Briefmarken und steckte seine Quittungen in den Briefkasten.
Adressat: Skandinaviska Enskilda Banken in Stockholm. Anschließend kehrte er zum Schließfach zurück und legte die Quittung in den braunen Umschlag, der das Geld enthalten hatte.
Er nahm ein Taxi in die Breite Straße, ließ fünf Häuserblocks vor Nummer 159 halten und ging das letzte Stück zu Fuß. Niemand folgte ihm.
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