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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Farm, wie jemand scherzhaft das Gegenstück der amerikanischen Navy und des FBI zur Farm der CIA in Maryland an der Ostküste getauft hatte, als Ausbilder-Assistent gearbeitet. Er hätte es ihr sagen können. Ein paar Sätze hätten genügt. Vielleicht wäre es dann aber so gekommen, daß er nach diesen Sätzen gezwungen gewesen wäre, deren Wahrheitsgehalt gegen ihre nicht ganz unverständlichen Zweifel zu verteidigen. Dann hätte er sich verheddert: Er hätte beschreiben müssen, mit welcher Technik er zu töten gelernt hatte, mit Messer, Pistole oder Sprengstoff, mit Granatwerfern oder RPG oder Funkwellen bis hin zu TNT und Sprengladungen im Auspuff eines Autos; vielleicht hätte er sich sogar dazu hinreißen lassen, ihr ein paar kleine Vorstellungen zu geben. Vielleicht hätte er ihre sämtlichen Schlösser mit einem der kleinen Instrumente geöffnet, die er in Gestalt eines harmlos aussehenden roten Schweizer Armee-Taschenmessers in der Hosentasche trug, eines Messers, bei dem Korkenzieher, Lupe und einige andere Kleinigkeiten gegen Instrumente ganz anderer Art ausgewechselt worden waren.
    Nein, das wäre nicht gegangen. Es wäre unmöglich gewesen. Es war richtig gewesen, ihr nichts zu sagen. Und wenn er sich ihr offenbart hätte, hätte das ihre Beziehung ebenfalls beendet. In den letzten Jahren war es ihm beinahe gelungen, sich das einzureden; ihm kam es vor, als wäre die Wunde verheilt. Und jetzt hatte sie wieder zu bluten begonnen - das Ergebnis einer einzigen Ansichtskarte. Ihm war rätselhaft, warum Tessie sie geschrieben hatte. Sie hatte ihm mehr bedeutet als jeder andere Mensch, sagte er sich jetzt. Mehr als jeder andere, flüsterte er vor sich hin, um sich den Wahrheitsgehalt seiner Worte von der Stille im Raum bestätigen zu lassen.
    Er stand mit einem Ruck auf und ging mit langen Schritten zur Rückseite der Wohnung und durch die Eichentür, hinter der sich die Stahltür mit dem Sicherheitsschloß befand. Er schloß auf, betrat seinen Übungsraum und ging zum Waffenschrank. Er entnahm ihm einen Revolver des Kalibers.22, für dessen Lärmpegel seine selbstgemachte Schallisolierung wohl genügte, denn bis jetzt hatte sich noch kein Nachbar beschwert.
    Er schoß eine halbe Stunde lang. Das war seine Methode, jede Gedankentätigkeit abzuschalten; mit einer Waffe in der Hand versank er in absolute Konzentration, in welcher Gemütsverfassung auch immer er sich noch eine Minute zuvor als Unbewaffneter befunden haben mochte oder in dem Augenblick, bevor sich die rechte Hand in einem exakt kalkulierten, nicht zu harten Griff um den Kolben schloß. Zorn, Verzweiflung, Müdigkeit, Angst - solche Stimmungen beeinträchtigen die Präzision im rechten Zeigefinger. Die Bewegung muß entschlossen, zugleich aber sehr leicht sein, sonst landet der Treffer am unteren linken Rand der Zielscheibe.
    Es war nicht nur Tessie O’Connor mit dem breiten, weißen, amerikanischen Lächeln, die er aus dem Kopf haben wollte. Die schriftliche Prüfung am Valhallavägen würde ihn jetzt noch tiefer in eine unklare Existenz zwischen Sicherheitspolizei, bei der er offiziell immer noch angestellt war, und dem Nachrichtendienst der Streitkräfte hineinziehen, so wie es aus ihm unbekannten Gründen hieß, im Augenblick sei für seinen vorgesehenen Dienst keine Planstelle frei. Und nach dieser Abschlußprüfung seines Kurses, mit der er das Patent als Korvettenkapitän der Reserve schon fast in der Tasche hatte - der Unterschied zu seinem bisherigen Rang als Marineleutnant der Reserve war ein einziger Streifen auf den Schulterstücken-, war er zu einer Besprechung in der Wertpapierabteilung seiner Bank gegangen. Es ging um einige Verfügungen zum Jahreswechsel, die seine Steuererklärung für das nächste Jahr erheblich beeinflussen würden. Er redete sich ein, nichts zu begreifen, vielleicht tat er auch nur so, möglicherweise weigerte er sich sogar zu begreifen. Seine Gesprächspartner hatten erklärt, daß sein Vermögen irgendwo zwischen 15 und 25 Millionen Kronen liege, je nachdem, wie er die Steuererklärung ausfallen lassen wolle.
    Die Bank schlug ihm vor, er solle ein Vermögen von null Kronen sowie ein Einkommen angeben, das einem Jahresgehalt bei der Sicherheitsabteilung der Reichspolizeiführung entspräche, im Vergleich zu seinen tatsächlichen Einkünften eher so etwas wie ein Taschengeld. Es ging einfach darum, nur über den Jahreswechsel ein so großes Darlehen aufzunehmen, daß die Schulden seine Aktiva übertrafen. Die

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