Der demokratische Terrorist
zurückgekehrt war, an dem er in der Woche, die beide wohl als einen ganzen Monat empfunden hatten, Stunde um Stunde gesessen hatte, begegnete er Siegfried Maacks Blick.
Die gespenstische Stille und die Leere im Raum wurden plötzlich komisch. Alle beiden streckten fast gleichzeitig die Hände aus und lachten verlegen.
Dann erhob sich Siegfried Maack mit einer ironisch feierlichen Bewegung und hielt eine kleine Ansprache.
»Lieber Graf Hamilton«, begann er mit einer Anrede, die, wie Carl inzwischen wußte, in Deutschland durchaus üblich war, die einen Schweden aber zum Lachen gereizt hätte, »da unsere gemeinsame Zeit jetzt zu Ende geht, denn künftig werden wir nur über ein bestimmtes Schließfach im Hamburger Hauptbahnhof verkehren, und da die kurze Zeit, die uns zu Gebote stand, um die gemeinsame Operation praktisch und theoretisch vorzubereiten, für etwas natürlichere Gastfreundschaft kaum Raum gelassen hat, habe ich mir die Freiheit genommen, ganz privat und außerdienstlich etwas von dem Besten zu besorgen, was Deutschland zu bieten hat, nämlich…«
Maack unterbrach seine wohl bewußt parodistische Ansprache, ging zur Tür und zog eine Kühltasche herein, die draußen auf dem Korridor gestanden hatte, und öffnete sie. Er zog zwei Römer und zwei dunkelbraune Flaschen mit Rheinwein heraus und fuhr fort: »…Wein aus dem Rheingau, und so, wie ich deinen Geschmack einschätze, müßte dir dieser 83 er Riesling, eine Spätlese, ganz hervorragend passen.«
Er entkorkte mit geübten und schnellen Bewegungen eine Flasche und goß ein. Carl betrachtete fasziniert das kleine schwarze Etikett. Der Wein hieß Geheimrat »]« und weckte in Carl die Vermutung, es sei der Titel irgendeines Richters eines geheimen Gerichts. Er konnte den Gedanken jedoch nicht weiterspinnen, als er den ersten Schluck getrunken hatte. Geheimrat »J« war ein kraftvoller, edler Wein von einem Wohlgeschmack, an den er sich bis an sein Lebensende erinnern würde. Er trank nochmals und war sicher, daß es der beste deutsche Wein sein mußte, den er je gekostet hatte.
»Unglaublich«, sagte er und drehte das Glas in der Hand, als wäre er unfähig, den Wein aus den Augen zu lassen, »unglaublich… Das hier und Beethoven sollte das einzige Deutschland sein. Aber was ist ein Geheimrat? Ein Richter in einem geheimen politischen Gericht oder was?«
Siegfried Maack klappte bei dieser Vermutung der Unterkiefer herunter. Geheimrat sei ein älterer Titel, eine Art Ehrenkonsul, um mal damit anzufangen. Und zweitens: Geheimgerichte, so ein Unfug in einer Demokratie?
»Ganz so abwegig ist die Vorstellung doch nicht«, meinte Carl.
»Die Gerichte und Gesetze, die mit Terroristen zu tun haben, lassen sich doch nicht unbedingt mit herkömmlicher demokratischer Justiz vereinbaren? Mitgliedschaft in einer illegalen Vereinigung, was ist denn das für ein idiotisches Verbrechen, für das man einen Menschen zu zehn Jahren Haft oder mehr verurteilen kann? Es gibt eben Ausnahmen in der Demokratie, wenn es darum geht, die Demokratie zu verteidigen, nicht wahr? Im Kampf gegen den Terrorismus können ja sogar Banküberfälle legal werden.«
Siegfried Maack trank mit geschlossenen Augen einen tiefen Schluck, bevor er antwortete.
»Ich bin durchaus nicht deiner Meinung. Was den geplanten Banküberfall betrifft, so ist er doch kein richtiger Überfall. Es besteht ja gar nicht die Absicht dazu. Es gibt auch keinen Vorsatz, ganz im Gegenteil. Das Geld soll überdies bis auf den letzten Pfennig zurückgegeben werden, folglich fehlt es auch an rechtswidriger Zueignungsabsicht, folglich kein Verbrechen, folglich kein juristisches Problem. Und was die besonderen Gesetze betrifft, auf die du anspielst, so heißt es erstens nicht ›illegale‹ Vereinigung, das ist eine böswillige Verdrehung, es heißt kriminelle Vereinigung, und das ist wohl etwas völlig anderes. Und wenn die Terroristen sich außerhalb der demokratischen Gesellschaft stellen, dürfen sie auch nicht damit rechnen, mit Samthandschuhen angefaßt zu werden. Sie haben schließlich selbst den Krieg erklärt, was an sich schon eine Form von Ausnahmezustand bedeutet, oder etwa nicht?«
Carl nippte an seinem Glas und verfluchte im stillen, daß ausgerechnet dieses Gesprächsthema mit einem der besten Weine, die er in seinem ganzen Leben getrunken hatte, in Kollision geraten war.
»Ich muß sagen, daß dies ein ganz fabelhafter Wein ist«, sagte er, und im selben Moment ging ihm auf, daß das ein
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