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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Häuser am Harvestehuder Weg wirkten fast wie im Stockholmer Djurgärden. Es waren Häuser reicher Menschen. Überall elektronische Alarmanlagen, hohe Mauern, Gitter vor den Fenstern der schönen Villen, die fast ausnahmslos aus der Vorkriegszeit zu stammen schienen und jeweils wohl mehrere Millionen kosteten. Vor dem Krieg hatten die Villengrundstücke vermutlich bis zur Alster gereicht, denn Carl hatte den Eindruck, als wären die Gärten am Alsterpark abgeschnitten worden; er vermutete einen sozialdemokratischen Eingriff im Gefolge der Entnazifizierung. Er fragte sich, ob es noch die gleichen Familien und die gleichen Menschen waren, die jetzt hier wohnten. Am Ende des Villenviertels blieb ihm nur noch ein viertelstündiger Spaziergang zu seinem eigentlichen Ziel, dem großen Warenhaus. Dann war er am Neuen Jungfernstieg, der Promenade an der Binnenalster, und trotz des schlechten Wetters geriet er immer stärker in einen Strom von Weihnachtseinkäufern. Er passierte ein Luxushotel in Weiß mit goldener Schrift, Vier Jahreszeiten, und kurz darauf hatte er sein Ziel erreicht.
    Seinen Berechnungen zufolge würde er hier, inmitten des bürgerlichen, weihnachtlichen Treibens, allerlei junge Leute mit Sammelbüchsen finden. So war es jedenfalls in Schweden immer gewesen: Gerade die sozialistischen Büchsenrassler standen genau dort, wo sie erwarteten, ihre hartnäckigsten Gegner anzutreffen. Die Wahrscheinlichkeit, Sympathisanten etwa der palästinensischen Sache ausgerechnet vor dem Kaufhaus NK in Stockholm oder dem Hamburger Alsterhaus zu finden, war außerordentlich gering. Aber trotzdem standen sie da. Vermutlich war es in Paris und London genauso.
    Carl entschied sich, erst seine Einkäufe zu machen. Er betrat das große Warenhaus und kaufte zwei billige Kunststofftaschen, eine weiße und eine braune. Nach einigem Auf und Ab über Rolltreppen und Fahrstühle fand er eine Abteilung für Arbeitskleidung und ähnliches, in der er einen blauen Overall kaufte. Die restliche Ausrüstung für den Banküberfall hatte er schon. So mit Weihnachtspaketen versehen, verließ er das Alsterhaus und stand vor dem Hanseviertel. Vermutlich befand er sich inmitten eines der kaufintensivsten Stadtviertel Europas, und dort wollte er nun seine jungen Leute mit den Sammelbüchsen finden.
    Die ersten, die er entdeckte, waren Iraner, die um Unterstützung für ihren Kampf gegen die Ajatollahs baten. Das war nicht, was Carl suchte. Die nächsten frierenden Gestalten warben für Amnesty International, aber das wäre definitiv weggeworfenes Geld gewesen. Nach einer Viertelstunde wurde Carl fündig. Ein Irrtum war ausgeschlossen: Trotzig hielten sie im Regen die Palästinenserflagge hoch. Kein Mensch schien sie zu beachten. Beide, ein Junge und ein Mädchen Anfang zwanzig, waren etwa so gekleidet, wie er es erwartet hatte.
    »Lohnt sich das wirklich, hier unter all diesen Zionisten und Bourgeois?« fragte er, als er zu ihnen trat, und erhielt wie erwartet keine Antwort. Sie vermochten nicht zu erkennen, ob seine Frage ironisch gemeint war.
    »Ich frage, weil ich selbst mal mit so einer Sammelbüchse in der Hand dagestanden habe. Damals war ich noch jünger und glaubte an so was«, erklärte er in einem immerhin so freundlichen Tonfall, daß die beiden ihn nicht mehr mißverstehen konnten. Er erhielt aber immer noch keine direkte Antwort, sondern beide murmelten nur vor sich hin. Carl seufzte demonstrativ und wühlte in seiner Tasche, als sortierte er etwas.
    Dann zog er ein kleines Bündel mit zwanzig Hundertmarkscheinen heraus, frische, ungefaltete Geldscheine in fortlaufender Serie mit den Resten einer Papierbanderole darum, was andeutete, daß das Bündel einmal erheblich dicker gewesen war.
    Dann reichte er die Scheine, als wären sie eine Art Trinkgeld, den verblüfften Palästina-Aktivisten.
    Das Mädchen versuchte zunächst, ein wenig lahm zu protestieren (während ihr Begleiter sich fieberhaft dem rein praktischen Problem widmete, den Deckel der Sammelbüchse abzuschrauben, ohne dabei allzu großes Aufsehen zu erregen).
    »Ist das wirklich Ihr Ernst, ist es auch kein Irrtum, Sie wissen doch, wieviel Geld das ist…?«
    Carl blinzelte ihr zu und sagte, er wisse genau, um wieviel Geld es sich handle. Er sei nämlich gerade unterwegs, um Weihnachtsgeschenke zu verteilen. Die Pointe aber sei, daß das Geld vom Feind stamme (aber leider könne er natürlich nichts Näheres erklären - neues Blinzeln).
    Bevor er weiterging, fragte er sie,

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