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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ausländischer Akzent zeigten Wirkung. Einer der Anwesenden sagte, er habe von den schwedischen Hausbesetzern gehört.
    (Carl hatte in St. Augustin davon gelesen, zuvor aber nichts davon gewußt.) Er bekam sein Bier und brachte etwas in Gang, was einer Unterhaltung zu ähneln begann. Zwei der jungen Leute waren vergleichsweise sauber und adrett, ein Mädchen mit einem schwarzen Pferdeschwanz und einem weißen Polohemd und ein Junge im gleichen Alter, wahrscheinlich Anfang zwanzig, der ihre Hand hielt. Diese beiden unterschieden sich auffällig von all den halb oder ganz mit Drogen zugedröhnten, halb oder ganz kriminellen Personen, denen er in diesem Viertel bislang begegnet war. Carl lenkte das Gespräch bewußt auf einen Punkt, an dem er seine revolutionären Neigungen verraten konnte. Das machte ihm keine Mühe. Er brauchte nur ein paar Fragen zu stellen, etwa, warum nicht zu erwarten sei, daß die Bullen hier angestürmt kämen: »Aha? Die Sozis haben sich hier also für 100 Mark pro Haus Recht und Ordnung gekauft. Das nenne ich aber billig, verflucht billig sogar!« Er zog einen Hundertmarkschein aus der Tasche und riß ihn dann mit bewußt langsamen Bewegungen in kleine Stücke: »So billig sind die Sozi-Schweine also davongekommen? Und ihr habt euch also kaufen lassen? Und jetzt sind alle Hausbesetzer Hamburgs an einem Ort zu finden?
    Der Staat hat euch also alle ruhiggestellt? Na ja, da kann ich schon verstehen, daß die Sozis die Bullen um jeden Preis fernhalten wollen, um den Frieden mit den ›Revolutionären‹ nicht zu stören, die für hundert Mark pro Haus zu kaufen sind.«
    Carl holte Luft und fuhr fort: »Für mich ist das jedoch ganz ausgezeichnet. Ich habe mir nämlich schon Sorgen gemacht, ich könnte in einer Gegend gelandet sein, die vielleicht Bullen anlockt. Das wäre mir alles andere als recht gewesen.«
    Als dann unweigerlich die Frage folgte, warum er denn mit der Polizei nichts zu tun haben wollte, grinste er nur und bemerkte durchsichtig, seine Erfahrungen mit der Polizei seien so, daß er immer in Gefahr sei, wegen Mißhandlung von Beamten in den Knast zu wandern, wenn er mit der Polizei zusammenstieß, und das wollte er am liebsten vermeiden. Hier in Deutschland gebe es für so was doch ein paar Jahre? Dann wechselte er schnell das Thema: »Wie dem auch sei, die meisten Leute, die ich in den Kneipen hier in der Gegend gesehen habe, scheinen mir eher Halbkriminelle und durchaus keine bewußten Genossen zu sein.«
    Das Mädchen mit dem Pferdeschwanz antwortete ruhig und überlegt, selbst wenn man vom Lumpenproletariat nicht erwarten könne, daß es im Kampf eine führende Rolle einnehme, so hätten doch gerade die objektiven Voraussetzungen für die Entstehung des Lumpenproletariats sich in den letzten Jahrzehnten vor allem in Deutschland so geändert, daß man sie zu den bewußten Schichten des Volkes zählen müsse, in denen sich ein revolutionäres Bewußtsein entwickeln könne. Das war vorzüglich, ein Volltreffer. Carl fühlte sich ausgelassen wie früher als Schuljunge, wenn er beim Schiffeversenken schon beim ersten Versuch einen Treffer landete und ein Schlachtschiff erwischte. Dieses Mädchen kam ihm also mit deutlich verdrehtem Leninismus.
    Carl referierte ohne zu zögern die formal korrekten und traditionellen leninistischen Dogmen, gegen die sie indirekt polemisiert hatte: »Das Lumpenproletariat ist reaktionär. Man kann von ihm nicht erwarten, daß es so etwas wie ein Klassenbewußtsein oder Solidarität entwickelt, und wenn man solche Leute in den Kampf hineinzieht, läuft man vielmehr Gefahr, faschistische Elemente aufzunehmen, und die später zu eliminieren, macht unnötig viel Mühe.« Und so weiter.
    Das Mädchen und der männliche Begleiter bissen an. Damit war die Diskussion in Gang gekommen. Carl ließ sie mit der Angelschnur losschwimmen und zog sie dann vorsichtig wieder zu sich heran: Die beiden gewannen jetzt das Bild von einem schwedischen Marxisten-Leninisten herkömmlichen Strickmusters, und er erhielt dafür ein Bild, das er nicht klar diagnostizieren konnte. Die beiden jungen Leute erinnerten ihn am ehesten an die studentischen Trotzkisten der siebziger Jahre, als sie noch ihren revolutionären Elan besaßen, um kurz darauf Sozialdemokraten zu werden, sich der Bewegung anzuschließen und sich als Redenschreiber von Ministern zu verdingen.
    Carl unterbrach die Diskussion schon nach zwei Bieren, entschuldigte sich und erklärte, mehr wolle er nicht trinken, da

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