Der demokratische Terrorist
jetzigen Basis in Schmaals Hotel lag. Bisher ging alles nach Plan.
Das Restaurant Cuneo war etwas größer, als man nach dem bescheidenen Eingang erwarten konnte. Das Lokal war langgestreckt, und wenn man es betreten hatte und an der links gelegenen Bar vorbeiging, hatte man einen vollständigen Überblick über alle Gäste des Lokals, die ein paar Treppenstufen tiefer saßen. Natürlich konnten auch die Restaurantgäste jeden beobachten, der das Lokal betrat.
Das Restaurant war mehr als zur Hälfte besetzt, und Carl erhielt einen Tisch etwa in der Mitte der einen Längswand. Soweit er es beurteilen konnte, waren die Gäste eine sehr gemischte Gesellschaft. Manche sahen aus, als wären sie nach dem Abkassieren bei ihrer Hure oder einem kleinen Diebstahl direkt hierhergekommen, andere machten den Eindruck, als stammten sie aus ganz anderen Stadtteilen, als hätten sie genügend Geld, ohne deshalb gleich kriminell zu sein, und die Gäste des dritten Typs schienen die üblichen Intellektuellen zu sein, möglicherweise auch Schickimicki-Radikale, was insgesamt eine ausgezeichnete Mischung ergab, die darauf hindeutete, daß Cuneo eine Art In-Lokal war. Kaum jemand nahm von Carl Notiz, und das war bei dieser ersten Inspektion seines Jagdreviers auch gar nicht beabsichtigt. Er bestellte sich Lasagne und trank eine Flasche Chianti Classico, nach dem Essen noch einen doppelten Espresso, bevor er zahlte und ging.
Von den Gästen des Lokals hatte keiner auch nur die geringste Ähnlichkeit mit einem der gesuchten Terroristen gehabt.
Er ging zu seinem Häuserblock zurück, um eine der drei Lokalitäten aufzusuchen, die er kennenlernen mußte. Er hatte seinen Häuserblock noch nicht von der anderen Seite aus inspiziert, wo er die Parolen der Hausbesetzer entdeckte.
Von Schmaals Hotel aus gesehen lag auf der anderen Seite des Häuserblocks die Hafenstraße, wo die Hausbesetzer-Bewegung seit ein paar Jahren nicht weniger als acht Slumgebäude mit Beschlag belegt und so »vor der kapitalistischen Ausbeutung gerettet« hatte, das heißt vor dem Abriß zum Zweck der Sanierung. Die Hausbesetzungen hatten natürlich zu mehreren Konfrontationen mit der Polizei geführt, und seitdem sahen sich die Hausbesetzer selbst als Revolutionäre, ja fast als halbe Terroristen.
Die Behörden hatten es jedoch mit Hilfe einer hinterhältigen sozialdemokratischen List verstanden, den Streit beizulegen; man hatte die Hausbesetzer dazu gebracht, die Häuser für hundert Mark pro Haus und Jahr zu mieten. Damit waren alle Auseinandersetzungen mit der Polizei auf unbestimmte Zeit verschoben. Außerdem kehrte auch im übrigen Hamburg wieder Ruhe ein, da sich die gesamte Hausbesetzer-Szene jetzt auf einen kleinen Straßenabschnitt konzentrierte. Da das Wohnen in der Hafenstraße damit so bedauerlich legal geworden war, hatten die Besetzer versucht, soviel Schaden wie möglich anzurichten und so viele provozierende Graffiti wie möglich zu schreiben, um die Polizei anzulocken. Aber nicht einmal Parolen, mit denen Bullen als fette Schweine mit Hakenkreuzen plakatiert wurden, hatten zu irgendwelchen konstruktiven Zusammenstößen mit den Repressionsinstrumenten des Kapitalismus geführt. Nur einmal hatte es einen halben Erfolg gegeben, als sich nämlich Vertreter der Hausbesetzer-Szene zu einer Filmpremiere einfanden, bei der ein nostalgischer Streifen über den Prozeß gegen Baader, Ensslin, Raspe und Meinhof so erfolgreich gestört wurde, daß die Premiere verschoben werden mußte. Da sich die Hausbesetzer jetzt als Terrorsympathisanten ausgewiesen hatten, bekamen sie gelegentlich Besuch von ein paar uniformierten Polizisten, die sie mit Steinen bewerfen konnten, um sich anschließend festnehmen und wegschleifen zu lassen. Seitdem betrachtete man die Hausbesetzer-Bewegung als terroristisch. Das hätte beim Verfassungsschutz niemanden sehr aufgeregt, wäre da nicht dieses rätselhafte Telefongespräch zweier echter Terroristen gewesen, von denen man vermuten durfte, daß sie in einem der Hafenstraßen-Häuser untergekrochen waren. Es stand außer Zweifel, daß die Hausbesetzer selbst ihren neugewonnenen Status als Beinahe-Terroristen mit beträchtlichem Stolz genossen. Ganz oben an der Hauswand zur Hafenstraße, im selben Häuserblock, in dem Carl jetzt wohnte, verkündete ein Text in schwarzen Buchstaben: DAS TERRORISTISCHE UMFELD GRÜSST DIE GENOSSEN IM KNAST.
Neue hinterhältige sozialdemokratische Schachzüge der Stadtpolitiker hatten jedoch dazu
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