Der demokratische Terrorist
wo er weitere Genossen mit Sammelbüchsen finden könne.
Die nächsten standen einen halben Block weiter, ebenfalls vor dem Hanseviertel bei Hennes & Mauritz inmitten des zur U- Bahn oder zur Binnenalster zurückflutenden Stroms von Weihnachtseinkäufern. Carl entdeckte sie schnell und gab in etwa die gleiche Erklärung wie eben, überreichte diesmal aber nur tausend Mark in laufender Serienfolge. Dann bat er um die Auskunft, ob er noch eine dritte Gruppe finden könne, die er in einer Position vorfand, in der sie fast allein standen; zwei junge Menschen in Wind und Regen auf dem Bürgersteig, auf dem im Sommer viele Menschen flaniert wären, direkt an der Binnenalster gegenüber dem Hotel Vier Jahreszeiten. Carl blieb eine Weile stehen und unterhielt sich mit ihnen über die Schwierigkeit, für die palästinensische Sache zu werben und fragte, ob es in Deutschland nicht noch schwieriger sei als in anderen Ländern, denn die Erbsünde nach Hitler müsse sich hier ja wohl stärker bemerkbar machen als im übrigen Europa. Er erkundigte sich, wo es sonst noch in der Stadt Sammlungen für linke Ziele gebe. Die beiden jungen Leute zählten zum Teil Dinge auf, an die er selbst schon gedacht hatte, zum Teil aber auch Unbekanntes und schließlich sogar etwas besonders Interessantes: Es gebe, so wurde Carl erklärt, humanitäre Sammlungen für gefangene Terroristen, die in Stammheim der Isolationsfolter ausgesetzt und einer Kommunikationssperre unterworfen seien. Er erkundigte sich, wo er diese Leute finden könne, und erhielt ein paar vage Beschreibungen, die ihn wieder in das kommerzielle Gedränge zurückführten. Zum Abschied ließ er ein weiteres kleines Geldscheinbündel zurück und wies auch diesmal ausdrücklich darauf hin, das Geld komme vom Feind. Das war hier eine besondere Pointe - und überdies die reine Wahrheit.
Er brauchte fast eine Stunde, um die beiden finster dreinblikkenden ungeschminkten Mädchen zu finden, die für gefangene RAF-Kämpfer Geld sammelten. Carl machte gar nicht den Versuch, sich sonderlich lange mit ihnen zu unterhalten, denn sie sahen nicht aus, als wollten sie die Passanten ernsthaft überzeugen. Sie waren wohl nur darauf aus, einer guten Sache zu dienen und durch ihr Leiden im Himmelreich ein paar Punkte zu sammeln. Carl glaubte, diese Typen aus seiner Clarté-Zeit zu kennen. Sie hatten immer mehr als alle anderen gelitten, wenn es darum ging, Geld für eine gute Sache zu sammeln oder vor einem der staatlichen Alkoholläden des Systembolaget das Vietnam-Bulletin zu verkaufen.
Die beiden Mädchen fragten von allein, woher er komme, so daß die Erklärung, er sei Schwede, ihnen nicht aufgedrängt werden mußte. Der zweite Hinweis, daß der unerwartet hohe Betrag vom Feind komme, war in diesem Zusammenhang recht natürlich. Carl wünschte den beiden Mädchen frohe Weihnachten und verschwand in der Menge.
Auf dem Weg zur U-Bahn pfiff er vergnügt vor sich hin. Er fragte sich, wie die Genossen beim Verfassungsschutz den Hinweis aufnehmen würden, daß das Geld des Staates so gut wie unberührt an dessen Feinde ging. Es würde ihm allerdings leichtfallen, die Maßnahme zu rechtfertigen: Eine billigere Eintrittskarte als diese war kaum zu haben. Im Augenblick war es vielleicht noch nicht soweit. Wenn aber der Dschungeltelegraph unter den jungen Leuten mit den Sammelbüchsen nur halb soviel Werbung für den Bankräuber aus dem Norden machte, wie er vermutete, würden sich diese gebündelten Hundertmarkscheine als gut angelegtes Geld erweisen.
Carl fuhr nicht nach Eidelstedt, wo der Banküberfall stattfinden sollte, sondern nahm die S-Bahn zum entgegengesetzten Ende der Stadt nach Bergedorf. Er stieg schon eine Station vorher aus, in erster Linie, weil der Name des Vororts - Nettelnburg - ihn über die Bedeutung des Worts nachdenken ließ. Für ihn als Schweden hörte es sich an, als sei eine saubere kleine Stadt gemeint. Er brauchte nicht lange umherzuspazieren, bis er in einem Viertel mit Reihenhäusern einen Parkplatz fand, auf dem zwei Wagen des gewünschten Typs standen. Er wählte den dunkelblauen, weil er getönte Scheiben hatte, was ihn komischerweise an die Fahrzeuge erinnerte, die den Chefs des Verfassungsschutzes als Dienstwagen zustanden.
Die Zentralverriegelung ließ sich so leicht öffnen, als hätte er einen Schlüssel verwendet. Carl zog sich seine dünnen grauen Handschuhe an und setzte sich auf dem Fahrersitz zurecht, schloß leise die Tür und wartete eine Weile. Während
Weitere Kostenlose Bücher