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Der demokratische Terrorist

Der demokratische Terrorist

Titel: Der demokratische Terrorist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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er am nächsten Tag ein paar wichtige Dinge zu erledigen habe. Vielleicht könnten sie sich aber wiedersehen. Es habe ihm Spaß gemacht, in diesem Viertel wenigstens ein paar Leute zu treffen, die zu wissen schienen, wovon sie redeten. Dann legte er einen Hundertmarkschein in die kollektive Kasse und tat mit einer schnellen Handbewegung die lahmen Proteste ab, das sei zuviel Geld. Er bemerkte, sie könnten das ja als fortschrittlichen Einkommensausgleich ansehen, als eine Art Sozi-Politik. Nicht übel, denn gerade hier hätten die Sozis es ja geschafft, der revolutionären Gewalt die Spitze abzubrechen. Damit verließ er den Raum, drehte eine Runde um den Häuserblock und ging ins Hotel. Er stieg die Treppe zu seinem kalten Zimmer mit dem üblen Geruch und der roten Nachttischlampe hinauf. Neben allem anderen, was er am nächsten Tag zu tun hatte, durfte er nicht vergessen, eine neue Nachttischlampe zu kaufen.
    Bevor er losging, um den Wagen aus dem Parkhaus zu holen, studierte er von neuem seinen Stadtplan. Er wollte keine überflüssigen Dinge mit eigenen Fingerabdrücken mitnehmen und gab sich daher Mühe, alle Details im Kopf zu behalten.
    Carl fand die Ausfallstraße in Richtung Kiel/Elsinhorn ohne Schwierigkeiten und brauchte weniger als eine Viertelstunde bis zum Zentrum Eidelstedts, wo alles so aussah, wie er es sich anhand von Fotos eingeprägt hatte.
    Es war der letzte Donnerstag vor Weihnachten. An diesem Tag war die Deutsche Bank im Zentrum Eidelstedts am Nachmittag länger geöffnet als sonst, nämlich von 14.30 Uhr bis 18.00 Uhr.
    Es war siebzehn Minuten nach vier. Noch drei Minuten bis zum Überfall.
    Hundertfünfzig Meter vom Eingang zur Bank entfernt, am Fluchtweg, der Kieler Straße, lagen zwei weiße, zweistöckige Holzhäuser. Auf dem Kiesweg zwischen den Häusern hatte Carl ausreichend Parkraum entdeckt. Eines der Häuser beherbergte eine Fahrschule, die Fahrschule Döbnitz, und dort tauchten immer wieder Fahrschulwagen oder Fahrschüler auf, die von Eltern oder Ehegatten hingefahren oder abgeholt wurden.
    Carl hatte seinen Wagen so geparkt, daß dieser sowohl von einer Hecke wie von dem Reklameschild der Fahrschule verdeckt wurde. Er hatte sich den blauen Overall angezogen. Sein provisorischer Zündschlüssel steckte im Schloß.
    Als er auf den roten Klinkerbau zuging, in dem sich die Bank befand, spürte er die erste Nervosität. Die Fenster der Bank waren aus undurchsichtigem Milchglas, so daß man weder hineinnoch hinausblicken konnte. Ideale Voraussetzungen. Ein weiteres Detail, das die Bank zu einem so vorzüglichen Ziel machte, war der Umstand, daß der Kassenraum zur Straße hin einen kleinen Vorraum hatte, den auf beiden Seiten ebenfalls Milchglasscheiben abschirmten.
    Als ihm noch 25 Meter bis zu dem kleinen Vorraum blieben, in dem er sich die Wollmütze mit den Sehschlitzen über den Kopf ziehen wollte, befiel ihn eine kurze Schreckensvision: Dort im Kassenraum, vor seinen Blicken verborgen, saßen jetzt vier deutsche Polizisten und hoben schon ihre automatischen Waffen, weil sie wußten, daß der Räuber in genau diesem Augenblick erscheinen würde; er würde in dem Moment sterben, in dem er den Kassenraum betrat. Nichts würde an die Öffentlichkeit dringen. Diese Lösung hatte Näslund mit seinen deutschen Kollegen ausgeheckt, um Carl endlich loszuwerden.
    Er würde keine Zeit finden, zurückzuschießen.
    Er blieb stehen und holte dreimal tief Luft, dann betrat er den Vorraum und zog sich die Wollmütze mit den Sehschlitzen über den Kopf, nahm seinen Revolver in die rechte Hand und die weiße Kunststofftasche in die linke. Er öffnete die Tür und machte wie geplant einen langen Schritt schräg nach links, so daß er direkt vor den Objektiven der Überwachungskamera landete.
    »ÜBERFALL!« schrie er, hob demonstrativ langsam den Revolver und gab zwei Schüsse an die Decke ab.
    Die Menschen im Kassenraum schienen mit Verzögerung zu begreifen. Erst erstarrten alle wie bei einem Kinderspiel, dann schrie eine der Frauen laut auf. Einige Kunden warfen sich auf den Boden, irgend jemand drückte auf den Alarmknopf, so daß sich ein lauter, metallisch schriller Ton über die ganze Szene legte.
    »RUNTER AUF DEN FUSSBODEN!« schrie Carl und fuchtelte mit seinem Revolver herum. Fast alle gehorchten. Es waren weniger als zehn Sekunden vergangen. Seinen Berechnungen zufolge hatte Carl noch drei Minuten Zeit. Er studierte die Szene, bevor er seinen nächsten Schritt tat.
    Die Bank hatte einen

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