Der demokratische Terrorist
dem weiteren Spiel mit den Sympathisanten aus der Hafenstraße verhalten sollte. Er durfte auf keinen Fall etwas überstürzen.
Vielleicht war es am besten, sich jetzt nach dem Banküberfall für einen Tag unsichtbar zu machen. Er beschloß abzuwarten, wie das Echo seines Auftritts in den Medien ausfallen würde.
Wenn das System so funktionierte wie in Schweden, dürfte es ein Leichtes sein, die Zeitungen dazu zu bringen, alles und vielleicht noch mehr hinauszuposaunen, und im übrigen hatte wohl auch der Verfassungsschutz seine Stammjournalisten, so wie sich Näslund zu Hause in Stockholm einen Stall von Lohnschreibern hielt.
Carl war ganz darauf eingestellt, sich am nächsten Tag in der Boulevardpresse wiederzufinden. So kam es, daß ihm sein richtig großer Auftritt entging, nämlich im Fernsehen.
In den Nachrichtensendungen wurde immer der Videofilm gezeigt. Man sprach von dem Kommando-Räuber, der den Befürchtungen der Polizei zufolge ein schwedischer Marinesoldat mit Sonderausbildung sei, dabei aber Linksextremist, der mit hoher Wahrscheinlichkeit europäischen Terrororganisationen nahestehe. Man habe jetzt den Verdacht, daß sich dieser allein operierende Kommandosoldat an mehreren Orten in der Bundesrepublik nicht weniger als sechs Banküberfälle habe zuschulden kommen lassen (Aufzählung, Zahlen). Ein Polizeibeamter trat auf und bemerkte, falls - und er lege vorerst großen Wert darauf, daß es sich nur um eine Vermutung handle - es sich tatsächlich um die Person handle, die man vermute, habe man es mit einem Kämpfer zu tun, der sich ohne größere Übertreibungen mit Rambo vergleichen lasse; das sei in mehr als einer Hinsicht besorgniserregend. Falls eine solche Person ihre Kenntnisse und Fähigkeiten den Terroristen zur Verfügung gestellt habe, worüber man bislang nichts wisse, könne das zu unabsehbaren Konsequenzen führen. Die Terroristen ließen sich allgemein mit einem Kämpfer dieses Typs auch nicht annähernd vergleichen. Die Polizei arbeite jetzt fieberhaft daran, Beweise für ihre Befürchtungen zu finden. Zum Abschluß warnte er Bankangestellte sowie andere Personen, die eventuell mit dem Räuber in Berührung kommen könnten, dringend vor jedem Versuch, den Helden spielen zu wollen. Man habe es mit einem Mann zu tun, der darauf trainiert sei, blitzschnell zu töten, und der jetzt, da er eine verbrecherische Laufbahn eingeschlagen habe, vermutlich keine Zehntelsekunde zögern werde, wenn man ihn in die Enge treibe.
Und so weiter.
Carl hatte das Glück, daß er das alles nicht wußte, als er durch das Gedränge der weihnachtlich gestimmten Menschen und den Nieselregen nach Hause ging. Er hatte beschlossen, in den nächsten vierundzwanzig Stunden keinen Kontakt zu irgend jemandem im Hafenstraßen-Viertel zu suchen. Auf dem Heimweg kaufte er sich ein Kassettenradio in teuerster Stereoausführung und einen kleinen Stapel Kassetten.
Zuerst spielte er Beethovens Klaviersonaten. Carl lag mit geschlossenen Augen in dem roten Lichtschein auf seinem Bett.
Ach ja, er hatte es tatsächlich vergessen, eine neue Nachttischlampe zu kaufen. Er hörte sich die Musik an und überlegte dabei, wie er einige Figuren aus diesem Viertel dazu provozieren konnte, sich auf ihn zu stürzen, damit er Gelegenheit erhielt, sie ein wenig zu mißhandeln. Mitten im zweiten Satz der Mondscheinsonate schlief er ein.
Am nächsten Morgen fuhr er mit einem Taxi zum Flughafen und nahm die erstbeste Maschine nach Zürich. Nachdem er sich das Ticket gekauft hatte, brauchte er nicht länger als eine Viertelstunde auf den Abflug zu warten. In Zürich fuhr er mit dem Taxi zu seiner Bank und zahlte dreißig Schweizer Franken auf sein Nummernkonto ein. Er erhielt eine Quittung, die er so anriß, daß die Nummer verschwand und der eingezahlte Betrag nicht mehr zu ermitteln war. Gegen drei Uhr nachmittags war er wieder in Hamburg.
Im Schließfach 410 lagen ein dünner weißer und ein dicker brauner Umschlag, darauf als Briefbeschwerer ein Smith & Wesson Combat Magnum in mattschwarzer Ausführung. Da er in der Bank mit der ersten Waffe geschossen hatte, hatte er sie loswerden müssen. (Dem BKA in Wiesbaden würde es mühelos gelingen, ballistische Beweise dafür zu finden, daß dieser Revolver beim Banküberfall verwendet worden war). In dem kleinen weißen Umschlag lag eine Quittung des Verfassungsschutzes über 387920 Mark, in schwedischer Währung mehr als 1,2 Millionen Kronen. Der dicke Umschlag enthielt einhundertzwanzig
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