Der demokratische Terrorist
mir schon klar, aber seid ihr Rote Zellen oder was anderes, und was wollt ihr von mir?« fragte er steif und angestrengt in seinem holperigen Deutsch.
»Wir sind das Kommando Hanna Kunkel«, erwiderte deren Schwester und gab deutlich zu verstehen, daß diese Antwort als erschöpfend zu gelten hatte.
Carl überlegte, ob er verstehen oder nicht verstehen sollte, und entschied sich für einen Kompromiß.
»Ihr seid also eine Unterabteilung der RAF?« fragte er mit leicht hochgezogenen Augenbrauen, als äußerte er eine erstaunte Vermutung. Er erhielt ein bestätigendes Kopfnicken zur Antwort und erkannte, daß er schnell ein bestimmtes Problem vertuschen mußte.
»Aha, das hatte ich schon vermutet, als ihr diese Polizeinummer abzogt. Darum bin ich auch mitgekommen, ohne mich zu verteidigen, denn ich wurde einfach neugierig auf euch. Also, was wollt ihr eigentlich von mir? Ihr hättet mich wirklich auf einfachere und weniger riskante Art einladen können, aber jetzt sind wir hier. Also, was wollt ihr?«
»Du raubst Banken aus und schenkst das Geld der antiimperialistischen Bewegung? Stimmt das?« fuhr Friederike Kunkel fort, ohne zu verraten, ob Carls höchstwahrscheinlich überraschender Standpunkt hinsichtlich der Freiwilligkeit seines Kommens sie verwirrt hatte. Kein anderer der Anwesenden machte Miene, etwas zu sagen, aber alle blickten ihn gespannt an.
»Ja, ich überfalle Banken, und das Geld wird für wohllöbliche Zwecke ausgegeben, etwa für den Befreiungskampf der Palästinenser, das stimmt. Wenn ihr aber auf eine kleine Spende aus seid, werde ich euch leider enttäuschen müssen. Mich könnt ihr nicht überfallen, und freiwillig gedenke ich euch kein Geld zu geben, nämlich aus dem einfachen Grund, daß ich eure Tätigkeit nicht unterstütze.«
»Warum denn nicht? Wodurch unterscheiden sich denn deine Banküberfälle von unseren?« wollte Friederike Kunkel mit unverändert starrem Gesicht wissen.
Carl war sich jetzt ungefähr darüber im klaren, wie er den nächsten Akt zu spielen hatte. Er mußte aber jetzt in eine andere Sprache wechseln, um sich klar ausdrücken zu können. Soweit er wußte, verstanden die meisten Terroristen Englisch.
»Das ganze ist sehr einfach«, sagte er auf englisch. »Ich operiere allein, und das Geld wird für den antiimperialistischen Kampf in der Dritten Welt zur Verfügung gestellt. Solange man mich nicht schnappt, transferiere ich Kapital der Ausbeuter an die Ausgebeuteten. Wenn die Bullen mich schnappen, ist der Spaß zu Ende, aber das bedeutet noch lange nicht, daß der Sozialismus kompromittiert wird wie durch eure Arbeit. Es ist also nur eine zufällige Übereinstimmung, daß wir beide Banken überfallen. Im übrigen herrschen zwischen uns grundlegende Gegensätze. Eure individuellen Morde halte ich für falsch, denn sie können nur einen konterrevolutionären und reaktionären Effekt haben.«
»Warum operierst du nicht in Schweden?« fragte Friederike Kunkel ungerührt auf deutsch weiter.
Ob sie jetzt schon auf die schwedische Aktion zu sprechen kommt? fragte sich Carl. Dabei hatte er doch jede Form der Zusammenarbeit entschieden abgelehnt. Sie konnten allerdings nicht wissen, daß er von den Plänen zu einer Aktion in Schweden wußte, und folglich war die Frage wohl nicht so unschuldig, wie sie zu sein schien.
»Die Zahl geeigneter Banken ist leider begrenzt«, sagte Carl lächelnd. Damit ergab sich für ihn eine Möglichkeit, etwas ganz anderes zu erklären: »Aus diesem Grund sind in Schweden einige Probleme entstanden. Die Polizei hat mich zweimal vernommen und glaubt, daß ich der Täter bin, aber sie hat keine Beweise. Wie ihr wißt, leben wir in einem demokratischen Rechtsstaat. Folglich haben auch Bankräuber alle Rechte, sich zu verteidigen und sich Anwälte zu nehmen. Wenn sie mich aber für den Täter halten, wäre es nicht sehr praktisch, wenn man mir nachweisen könnte, daß ich bei Banküberfällen eines bestimmten Typs immer in der Nähe gewesen bin. Darum habe ich meine Arbeit in den letzten Jahren ins Ausland verlegt. Und bis jetzt ist alles gutgegangen. Ich sollte vielleicht auf Holz klopfen, hehe.«
»Aber hier in der Bundesrepublik wird doch nach dir gefahndet?« fuhr seine Vernehmerin ungerührt fort.
»Das halte ich für unwahrscheinlich«, entgegnete Carl schnell und ein wenig eifrig, da er sich jetzt einer seiner Pointen näherte. »Dann hätte man nämlich meinen Namen und ein Foto von mir veröffentlicht. So wie die Dinge liegen,
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