Der demokratische Terrorist
dürfen.
»Als Gastgeber dieses Fests habt ihr es erstaunlich eilig. Darf ich mir jetzt vielleicht die Nachtmütze abnehmen?« fragte Carl fröhlich. Er fühlte sich euphorisch und aufgeräumt, weil er so plötzlich und überraschend drei Terroristen auf einen Schlag gefangen hatte. Denn so sah er die Situation, was seine Bewacher möglicherweise vor Erstaunen hätte verstummen lassen, wenn es ihnen aufgegangen wäre: Er hatte sie gefangen, und nicht etwa umgekehrt.
Eines der Mädchen der Gruppe - die Fahrerin, die er noch nicht gesehen hatte - fauchte ihn an, er solle das Maul halten. Der Fahrstuhl erreichte sein Ziel ohne Zwischenfall. (Wenn sie sich tatsächlich in einem Mietshaus befanden, hätten andere Mieter auftauchen und die Situation durchaus komplizieren können.) Die Entführer schoben Carl durch die Fahrstuhltür ins Treppenhaus und stießen ihn in eine Wohnung. Jetzt nahm er selbst die Mütze ab, ohne daß ihn jemand daran hinderte.
Jemand stieß ihm einen Pistolenlauf in den Rücken. Das war die einzige Mitteilung, die man ihm gönnte. Er ging in die angedeutete Richtung und betrat ein großes, mit konventioneller Eleganz möbliertes Wohnzimmer. Die Hälfte des Raums bestand aus einer versenkten Kuschelecke vor dem offenen Kamin. Sämtliche Lamellen-Jalousien des Zimmers waren geschlossen und versperrten jede Aussicht. Nach Carls Berechnungen befanden sie sich sehr hoch oben, mindestens im zehnten Stock.
Als er sich umblickte, meinte er, hinter einer angelehnten Tür eine stählerne Wendeltreppe zu sehen, die vielleicht zu einem Penthouse führte. Die Typen hatten sich eine standesgemäße Wohnung zugelegt, daran war nicht zu zweifeln.
Carl lachte plötzlich auf, als er daran dachte, wie er selbst gewohnt hatte, um den Kontakt herzustellen. Fünf Personen starrten ihn feindselig und erstaunt an, als er loslachte. Er setzte sich in einen leeren Sessel, der so abseits stand, daß er vermutlich für ihn vorgesehen war.
»Aha, soso«, sagte er fröhlich, als er sich vorsichtig die Jacke auszog, damit niemand die Pistole auf seinem Rücken entdeckte.
Dann setzte er sich. »Soso, ihr gebt also eine kleine Fete. Wäre es nicht einfacher gewesen, anzurufen und mich einzuladen?«
»Wir gehen kein unnötiges Risiko ein. Wir arbeiten sehr sorgfältig«, erwiderte die Frau, die die Älteste zu sein schien und die Carl genauso leicht hatte identifizieren können wie die anderen, die er bisher gesehen hatte. Nach ihrem Verhalten und dem der anderen war sie die Chefin oder zumindest die Wortführerin.
Friederike Kunkel war vier Jahre jünger als ihre Schwester Hanna, die zu Lebenslänglich verurteilt in Stammheim einsaß.
Den Schwestern Kunkel wurde ein besonders haßerfülltes Verhältnis zu Schweden nachgesagt, nachdem 1975 in Stockholm die Besetzung der Botschaft der Bundesrepublik mißlungen war. Einer der Besetzer hatte ungeschickt mit einer Handgranate hantiert, eine Sprengladung war hochgegangen und hatte einen der Terroristen auf der Stelle getötet und einige der anderen verwundet. Einer von ihnen, der sogenannte Sprengstoffexperte der Gruppe, Siegfried Hausner, war bei der Auslieferung an die Bundesrepublik an seinen Verletzungen und einem unnötig brutalen Transport gestorben. Die schwedische Regierung war also für den Tod des Terroristen verantwortlich, was den besonderen Haß der Schwestern Kunkel auf Schweden vielleicht erklären konnte. So dachte man jedenfalls beim Verfassungsschutz, und Carl konnte nicht beurteilen, inwieweit diese Vermutung zutraf.
Friederike Kunkel war eine der wenigen auf der Fahndungsliste ohne besondere Kennzeichen, eine polizeisprachliche Umschreibung für Tätowierungen, Narben, Verletzungen, Gebrechen und ähnlichem. Sie war eher dreißig als vierzig, sah aber älter aus, was vielleicht ihrer adretten Kleidung zuzuschreiben war. Sie trug ein Tweedkostüm und braune, nicht allzu hochhackige Schuhe. Sie hatte ein kleines, rundes Gesicht, was ihr ein pfiffiges, fast ein wenig lustiges und nettes Aussehen verlieh.
Neben ihr auf dem Sofa saß ohne jeden Zweifel Werner Porthun, 34 Jahre, braune Augen. Auf der linken Wange hatte er eine180mm lange Narbe, die nicht einmal der Vollbart verbergen konnte. Er sah hinterhältig aus und wirkte kaum anders als auf dem Fahndungsplakat.
Carl gegenüber auf der anderen Seite des länglichen Couchtischs aus rosa Marmor saß Martin Beer, der bei Carls Festnahme den Polizisten gespielt und durch sein Telefongespräch mit Horst
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