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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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so aufrege, doch wiederum veranlasse mich gerade das, es
fortzusetzen, denn die Sache scheine nicht harmlos zu sein. Ich wisse genug
von ihm, wisse oder vermutete, was in ihm vorgehe, und obgleich alles häßlich
sei, bezeuge mir doch seine Unruhe, daß sein Gewissen sich rege und ihn tadle.
    Der junge Mann ließ den Kopf immer
tiefer sinken, er beugte sich unter der Last der Angst, sie drückte ihn hinab,
als hätten sich seine Wirbel voneinander gelöst.
    Kraftlos versuchte er zu
wiederholen, er sei zufällig dorthin geraten, ich aber winkte nur ab, gab zu
verstehen, daß ich darüber gar nicht weiter reden wollte.
    Er wartete, nicht atmend, und auch
ich wartete, kaum atmend. Bis zum letzten Augenblick hatte ich nicht gewußt, ob
ich das einzig Wichtige aussprechen würde, das, weswegen ich ihn mit Feuer
sengen würde, damit er es bekenne. Es schrie in mir, wahnsinnig, blutig, aber
ich hielt die Beschuldigung auf den Lippen zurück, die sich wild aufeinander
und in die Zähne preßten, um die Worte nicht vorbeizulassen. Wenn ihn die Angst
vollkommen unterwürfe und ihn triebe, alles zu leugnen, würde ich unsicher und
unschlüssig bleiben.
    So aber hatte ich ihn gereizt, bis
zum äußersten gespannt, bis zum Wahnsinn, ich wartete geradezu darauf, daß er
die Zähne fletsche, daß er knurre, mich in Stücke reiße, damit er sehe, was in
meinem Herzen verborgen ist.
    Das festigte meinen Verdacht, war
aber noch kein Beweis.
    Jetzt galt es, mit einemmal
lockerzulassen und alles ins Komische zu wenden. Erschiene auf seinem Gesicht
ein Ausdruck der Erleichterung, dann wäre ich auf dem rechten Wege. Dann wäre
er schuldig.
    Während ich mit Mühe das Tosen in
mir, das alles übertönende Rauschen des Blutes bezwang, wiederholte ich Hafiz
Muhameds naive Vermutung, er sei vielleicht in Hasans Schwester verliebt. Das
täte mir leid, denn sein nach Liebe sich sehnendes Herz würde ob dieses
sündigen und hoffnungslosen Wunsches geschwärzt und verdorrt daraus
hervorgehen. Es würde ihn niederdrücken und den Menschen entfremden, vielleicht
auch mir. Er möge mir das nicht verübeln, ich spräche zu ihm, wie ich zu meinem
Bruder sprechen würde, dem mein Rat nicht mehr helfen könne. Und er möge mir nicht
verübeln, daß ich weine, er werde es wohl verstehen, hoffte ich, vielleicht
jetzt, vielleicht später, wenn er den größten Teil des Lebens hinter sich habe,
wenn er seine Gedanken nur noch auf die Verluste werde richten müssen und wenn
er darum werde kämpfen müssen, sich die Liebe der Freunde zu bewahren, die ihm
geblieben seien.
    Ich weinte wahrhaftig, weinte Tränen
des Kummers und des Zornes, genauso aufgeregt wie dieser verwirrte Jüngling. Es
fehlte nur noch, daß wir mit einer Umarmung dieses schreckliche Gespräch
beendet hätten. So sehr würde ich mich nicht verstellen können. Und hätte er es
getan, ich fürchte, ich hätte ihn erdrosselt, denn ich wußte schon alles.
    Ich wußte alles. Als ich aus dem
Dickicht der Andeutungen heraustrat, die tausend gezückte Messer waren, unter
ihnen das eine todbringende, von ihm erwartete, als ich ihn auf eine Lichtung
führte, ihm die unzähligen Knoten löste, mit denen ich ihn mörderisch
gefesselt hatte, als ich ihn mit einer sanften Ermahnung von tierischer Angst
befreite, da tat sich über ihm unverhofft ein heiterer Himmel ohne Drohung auf,
und über das zerquälte Gesicht zuckte ungestüme Überraschung, wahnwitzige
Freude über das geschenkte Leben.
    Der Narr, dachte ich, während ich
ihn voll Haß anblickte, er meint, er sei aus der Falle heraus.
    Doch da geschah, was ich nicht
erwartet, nicht vorhergesehen hatte. Die Freude über die Befreiung verklärte
sein Gesicht nur für einen Augenblick, sie hielt sich ganz kurz und verlor
sogleich die anfängliche Kraft und Frische. Unmittelbar darauf verzehrte ihn
ein anderer Gedanke, aus seinen Zügen wich alles Leben, es wurde weggewischt
von lastender, hilfloser Trauer.
    Warum? Schämte er sich plötzlich
seines Triumphes? Hatte ihn die jähe Freude umgeworfen? Bedauerte er mich wegen
meiner kindlichen Naivität? Oder bedachte er, wie gefährlich dieses Verneinen
war?
    Langsam, mit merkwürdig gemessenen
Bewegungen, beugte er sich mit der Stirn zu Boden, wie im Gebet oder so, als
fiele er, dann stützte er sich schwer auf die Arme, es schien, als würden sie
ihn nicht halten, und stand auf wie im Schlafe. Und ging hinaus wie im Schlafe,
grenzenlos verstört.
    Ich war hart gegen ihn gewesen, auch
gegen mich selbst.

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