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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Augen.
    Er wußte, wohin meine Wege mich
führten und wonach ich suchte.
    Wir grüßten einander nicht. Ich ging
in mein Zimmer, es schien mir düster und kalt, früher hatte ich mir ausgemalt,
es würde sich in einen großen und hellen Gerichtssaal verwandeln, wenn diese
Stunde käme, nun aber war es noch kleiner und finsterer als früher. Es stieß
mich ab mit seiner Ode, wir hatten einander vergessen, während ich dem
Geheimnis nachjagte, ich hatte seine Zuneigung verloren, und nichts hatte ich
anderswo gefunden.
    Ich stellte mich ans Fenster und
blickte zerstreut in den sonnenblitzenden Tag. Das war alles, was ich tun
konnte, obgleich ich wußte, es war sinnlos.
    Als die Tür sich öffnete, wußte ich,
wer eintrat. Ich sagte nichts. Auch er blieb stumm. Ich glaubte sein schweres
Atmen an der Tür zu hören.
    Lange währte dieses quälende
Schweigen, lange stand er hinter mir, wie ein zu mir gehörender schwarzer
Gedanke. Ich wußte, daß er kommen würde, gerade so, ungerufen. Seit langem
wartete ich auf diesen Augenblick. Jetzt aber wünschte ich nur, er möge gehen.
Doch er ging nicht.
    Er war es,
der das Schweigen brach, er sprach mit leiser und klarer Stimme.
    „Ich weiß,
wohin du gegangen bist und was du gesucht hast."
    „Was willst
du dann?"
    „Du hast
nicht umsonst gesucht. Verurteile mich oder verzeih mir, wenn du
kannst."
    „Geh, Mula
Jusuf."
    „Hassest du
mich?"
    „Geh."
    „Ich würde
es leichter ertragen, wenn du mich haßtest."
    „Ich weiß.
Du würdest das Gefühl haben, auch du hättest ein Recht auf Haß."
    „Bestraf mich
nicht mit Schweigen. Bespuck mich, oder verzeih mir. Ich trage es
nicht leicht."
    „Ich kann
nicht das eine und nicht das andere."
    „Warum hast
du zu mir von Freundschaft gesprochen? Alles hast du schon
damals gewußt."
    „Ich hatte
geglaubt, du hättest es zufällig getan oder aus Angst."
    „Schick
mich nicht so fort."
    Er bat
nicht untertänig, er forderte. Es war wie Tapferkeit der Verzweiflung.
Dann aber verstummte er, entmutigt von meiner Kälte, und trat zur
Tür. Darauf hielt er inne und wandte sich um. Er sah gefaßt, beinahe heiter
aus.
    „Ich
möchte, daß du weißt, wie sehr du mich quältest, indem du zu mir von
Freundschaft sprachst. Ich wußte, es konnte nicht die Wahrheit sein, aber ich
wünschte mir, sie wäre es. Ich wünschte mir, daß ein Wunder geschehe.
Doch Wunder gibt es nicht. Jetzt ist es leichter."
    „Geh,
Jusuf."
    „Darf ich
dir die Hand küssen?"
    „Ich bitte
dich, geh. Ich möchte allein sein."
    „Gut, ich
gehe."
    Ich trat
ans Fenster, blinzelte in den Sonnenuntergang, nicht wissend, was ich
sah, ich hörte ihn nicht hinausgehen, hörte auch nicht, wie die Tür sich
schloß. Wieder war er still und demütig, zufrieden, daß alles so ausgegangen
war. Ich hatte die Ratte aus der Falle gelassen und empfand dabei weder
Großmut noch Verachtung.
    Mein Blick
irrte über die Berge oberhalb der Stadt und über die Fenster der Häuser,
in denen die Nachmittagssonne flammte.
    So war es
denn erreicht. Und was nun? Nichts. Dämmerung und Nacht und
Morgenrot und Tag und Dämmerung und Nacht. Nichts.
    Ich wußte,
ich hatte da einen nicht gerade klugen Gedanken, doch es war mir
gleich. Ich betrachtete mich selbst sogar ein bißchen spöttisch, wie einen
anderen – besser wäre es, das Suchen dauerte an, ohne Unterlaß, so hätte ich
ein Ziel.
    Da trat Hafiz Muhamed ins Zimmer,
vielmehr stürzte er herein, aufgeregt und ängstlich erschrocken. Ganz
fassungslos. Ich sagte mir, jetzt fehlte nur, daß ihn ein Hustenanfall packte,
wie immer, wenn er aufgeregt ist, und dann müßte ich selbst das Rätsel seines
entsetzten Gesichts lösen. Zum Glück verschob er den Husten auf später und
brachte stammelnd hervor, daß sich Mula Jusuf in seinem Zimmer aufgehängt habe,
Mustafa habe ihn heruntergeholt.
    Wir gingen hin.
    Er lag auf dem Bett mit
bläulich-rotem Gesicht, geschlossenen Augen, stockendem Atem.
    Mustafa hockte neben ihm und flößte
ihm Wasser ein, indem er ihm den verkrampften Mund mit einem Löffel und den
dicken Fingern der linken Hand öffnete. Mit dem Kopf gab er uns ein Zeichen,
daß wir hinausgehen sollten. Wir gehorchten und traten in den Garten.
    „Der unglückliche Junge",
meinte Hafiz Muhamed seufzend.
    „Er überlebt es."
    „Gott sei es gedankt, Gott sei es
gedankt. Aber warum hat er es getan? Aus Liebeskummer?"
    „Nicht aus Liebeskummer."
    „Er kam gerade aus deinem Zimmer.
Worüber habt ihr gesprochen?"
    „Er hatte Harun

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