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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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verraten, meinen
Bruder. Er knüpfte mit ihm Freundschaft an und verriet ihn. Selber hat er's
gestanden."
    „Warum hätte er deinen Bruder
verraten?"
    „Er war Spion des Kadi."
    „Oh, großer Gott!"
    Dieser ehrliche alte Mann, der seine
Ehrlichkeit mit Unerfahrenheit nährte, hätte es leichter hingenommen, wenn ich
ihm ins Gesicht geschlagen hätte, als daß ich seine Erfahrung mit diesem
Schmutz bereicherte.
    Er setzte sich auf eine Bank,
klammerte sich kraftlos an die Lehne und begann still zu weinen.
    Vielleicht ist es so am besten.
Vielleicht ist es überhaupt das Klügste, was man tun kann.

11
    Das weite Land wurde ihnen zu eng, ihre Herzen fühlten
Einsamkeit und Enge.
    Meine Unruhe weitete sich, indem sie,
rückwärts gewandt, das Vergangene einbezog; ich dachte daran, wie ich doch
seit langem eingekreist sei, wie fremde Augen schon lange jeden meiner Schritte
belauern und darauf warten, daß einer falsch gesetzt werde. Und nichts hatte
ich gewußt, war meine Wege wie im Traum gegangen, überzeugt davon, daß alle
meine Dinge einzig mich und mein Gewissen beträfen. Mein geistiger Sohn hatte
mich bespitzelt, in fremdem Auftrag, mir von der Freiheit nichts als die hohe
Überzeugung gelassen, daß ich sie hätte. Seit Jahren war ich Gefangener Gott
weiß welcher und Gott weiß wie vieler Augen. Ich fühlte mich erniedrigt und
beengt, nachträglich noch, da ich auch jenen freien Raum, den ich mir – vor dem
Unglück – als meinen eigenen vorgestellt hatte, verloren sah. Sie hatten ihn
mir genommen, es lohnte sich nicht mehr, ihn in die Erinnerung zu rufen. Das
Unglück hatte nicht erst begonnen, als ich seiner bewußt wurde, sondern viel
früher. Wer hatte mich nicht alles im Auge behalten, wer hatte nicht alles
meine Worte belauscht, wieviel bezahlte oder freiwillige Wächter mochten meine
Wege verfolgt und meine Handlungen vermerkt haben, mich zum Zeugen gegen mich
selbst machend. Ihre Zahl wurde erschreckend. Ich war ohne Angst und Verdacht
durchs Leben gegangen wie ein Narr am Abgrund, jetzt erschien mir auch ein
ebener Weg als Abgrund.
    Die Stadt hatte sich in ein großes
Ohr und Auge verwandelt, das jedes Menschen Hauch und Schritt einfängt. Ich
verlor Natürlichkeit und Sicherheit, wenn ich Menschen begegnete. Lächelte
ich, so sah es aus wie Kriecherei; sprach ich von unwichtigen Dingen, so sah es
aus wie Verstecken; sprach ich von Gott und seiner Gerechtigkeit, so sah es
aus, als wäre ich ein Dummkopf.
    Ich wußte auch nicht, was ich mit
meinem Freund Mula Jusuf anfangen sollte. Mit Bitternis sage ich es: meinem
Freund, doch ich meine, es wäre noch schlimmer, wenn wir wahrhaftig Freunde
wären. So verliere ich, was ihn betrifft, nichts. Ich weiß, ich würde meinem
wunden, verletzten Ich mehr schmeicheln, wenn ich mich beklagen könnte: Sieh
doch, was mir ein Freund angetan hat. Aber das wollte ich nicht. So hätte ich
einen einzelnen beschuldigt, und alles hätte
sich beschränkt auf eine Rechnung, die zwischen ihm und mir zu begleichen wäre,
denn ich hätte, gekränkt von dem Freundesverrat, die anderen vergessen. So
jedoch, da ich ihn wegdrängte zu der Schar der übrigen, erweiterte ich die
Schuld wie den Verlust. Das tat ich unbewußt, in dem unklaren Wunsch, daß die
Ausmaße umfassender sein mögen, so wie mein Schmerz und wie die mir zu begleichende
Schuld. Ich sage: Schmerz; dabei fühle ich keinen. Ich sage: die mir zu
begleichende Schuld; dabei mache ich die Forderung nicht geltend. Die Menschen
sind meine schwer belasteten Schuldner geworden, und doch verlange ich nichts
von ihnen.
    Mula Jusuf begegnete mir mit Furcht
in den getrübten Augen, ich lächelte müde, ganz schwarz im Innern. Manchmal,
aber nur manchmal, schien es mir, ich könnte ihn erwürgen, während er schläft
oder während er in Sinnen versunken ist. Manchmal dachte ich daran, ihn mir aus
den Augen zu schaffen, ihn in eine andere Tekieh, eine andere Stadt zu schicken.
Aber nichts tat ich.
    Hasan und Hafiz Muhamed waren von
meiner Großmut und meinem Verzeihen gerührt, und mir tat es seltsamerweise
wohl, ihre Anerkennung für etwas zu hören, was es in Wahrheit nicht gab. Denn
ich hatte weder vergessen noch verziehen.
    Damit gewann ich Hasan aufs neue,
damit gewann ich eine schwer erklärbare Befriedigung über seine Freundschaft,
ein inneres Leuchten, eine innere Wärme, ohne Grund, beinahe ohne Sinn, aber
ich nahm sie an wie ein Geschenk und wünschte mir, sie möge währen ohne
Unterlaß.
    „Du hast klug daran

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