Der Derwisch und der Tod
unansehnliche Filzmütze auf dem Kopf. Ich lief ihm nicht gern in den Weg,
gewöhnlich war er nicht gut zu ertragen, er verschanzte sich hinter
vorgetäuschter Verrücktheit, um alles sagen zu können, was er dachte. Das
wiederum tat er grob.
„Bist du einverstanden mit einem Gespräch,
das dir keinen Nutzen bringt?" fragte er Hasan, ohne mich anzusehen.
„Einverstanden. Worüber werden wir
sprechen?"
„Über nichts."
„Das heißt, über die Menschen."
„Du weißt alles. Weil dich nichts
kümmert. Heute früh habe ich um deine Schwester gefreit."
„Bei wem hast du um meine Schwester
gefreit?"
„Bei ihrem Vater, dem Kadi."
„Der Kadi ist nicht ihr Vater."
„Dann ist er ihre Tante."
„Gut. Was hast du der Tante
gesagt?"
„Ich habe gesagt: Gib sie mir zur
Frau, es wäre doch schade, wenn ihre Jugend und Schönheit umsonst verwelkten.
Wenn sie so bei dir bleibt, kriegt sie keinen Mann. Ich steck auch den
Brautschatz als Zugabe ein, 's ist sowieso alles andrer Leute eigen, ich nehm
dir auch, sagen wir, tausend Jahre Höllenfeuer ab, du hast es dann leichter.
Laß das, sagt er, geh deines Wegs. Ich geh meines Wegs, sag ich, aber warum
lässt du sie nicht ihres Wegs gehn? Hast du so großen Haß gegen sie? Ich
dachte, sie als einziger Mensch auf der Welt würde von dir nicht gehaßt. – Und
du, wohin willst du?"
„Zu Jusuf
Hadschi Sinanudin, dem Goldschmied."
„Geh. Ich
komm nicht mit. Ich weiß nicht, was er für einer ist."
„Du weißt
nicht, was Hadschi Sinanudin für einer ist?"
„Nein. Er
denkt bloß an die Gefangenen, jeden Freitag bringt er ihnen was zu
essen, er macht sich ihretwegen arm, alles gibt er ihnen."
„Und ist
das schlecht?"
„Was täte
er, wenn's keine Gefangenen mehr gäbe? Er wäre unglücklich. Die
Gefangenen sind ihm die große Leidenschaft, wie einem andern die Jagd
oder das Trinken. Aber soll man seine Leidenschaft an menschliches
Unglück binden? Vielleicht soll man's, ich hab nicht drüber nachgedacht."
„Ist es was
Schlimmes, wenn man sich an eine gute Tat gewöhnt?"
„Muß denn
eine gute Tat zur Gewohnheit werden? Sie kommt ganz von selbst,
wie die Liebe. Und wenn sie kommt, muß man sie verstecken, damit sie
unser bleibt. Gerade wie du es machst."
„Was mach
ich?"
„Du gehst
zu Hadschi Sinanudin, bringst ihm was für die Gefangenen, aber du
versteckst es. Wie mit der Liebe: sie ist über dich gekommen, und du schämst
dich, sie zu zeigen. Deshalb gehst du allein."
„Ich bin
nicht allein. Kennst du nicht Scheich Nurudin?"
„Wie sollt
ich Scheich Nurudin nicht kennen! Wo ist er?"
„Hier,
neben mir."
„Neben dir?
Ich seh ihn nicht. Warum spricht er nicht, damit ich ihn wenigstens
höre?"
„Du willst
mich nicht sehen, und ich weiß nicht, warum. Bist du böse auf
mich?"
„Siehst du,
er ist nicht da", meinte Ali Hodscha, mich umsonst neben Hasan
suchend. „Nicht die Stimme, nicht die Gestalt. Nicht da, der Scheich Nurudin."
Er ging
grußlos fort.
Hasan
lächelte verwirrt, sicherlich meinetwegen.
„Schroff
ist er."
„Schroff
und boshaft."
„Ein
wunderlicher Mensch."
„Warum
wollte er mich nicht sehen?"
„Geredet
hat er vernünftig. Er brauchte eine Verrücktheit, die ihn herausreißen
kann."
Nein, das
war keine Verrücktheit. Etwas hatte er gewollt, auf etwas hatte er
gezielt. Nicht da, der Scheich Nurudin, hatte er gesagt. Vielleicht, weil ich
nicht mehr dasselbe war wie einst? Vielleicht, weil ich nicht zurückgeschlagen
hatte? Oder weil ich nichts von dem getan hatte, was ein Mensch tun
sollte. So kam es: Nicht da!
„Was hältst
du von ihm?" fragte ich Hasan, um nicht zu verraten, wie sehr es
mich schmerzte, daß Ali Hodscha mich nicht hatte sehen wollen, bedachte aber nicht, daß ich mich
eben damit verriet – so gab ich zu, daß er mich beschäftigte. Zum Glück wollte
mich Hasan entschädigen, und er tat das verwirrt. Ich merkte es daran, daß er
viele Worte aufwendete und ernsthaft sprach.
„Ich weiß nicht. Er ist
rechtschaffen und ehrlich. Er kennt nur kein Maß. Das ist ihm zur großen
Leidenschaft geworden, wie er sich ausgedrückt hat. Und zum Laster. Er
verteidigt nicht das Recht, er benutzt es als Waffe; es ist ihm Mittel
geworden, nicht Ziel. Vielleicht weiß er gar nicht, daß er die Zunge vieler
Schweigender ist, und es befriedigt ihn wohl, daß er wagt, was sie nicht wagen,
indem er ihnen ihre ungesagten Worte vorhält. Sie durchschauen ihn, denn er
ist ihr verstümmeltes Bedürfnis zu sprechen, und er wäre
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