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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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zu nichts taugst, nicht zum Guten und nicht zum Bösen? So hat er's wohl,
glaube ich, gemeint?"
    „Schlecht ohne persönlichen Nutzen,
gut nur dann, wenn ich unverantwortlich bin. Etwas wie ein sündiger Engel,
eine lasterhafte Jungfrau, ein anständiger Halunke."
    „Lasterhaft und edelmütig,
bescheiden und ängstlich, vernünftig und starrköpfig. Von jedem etwas, von
nichts etwas."
    „Du schätzt mich nicht gerade
sehr."
    „Nein", sagte der alte Mann
strahlend. „Ich schätze dich nicht."
    Sein Blick sprach: Ich schätze dich
nicht, ich liebe dich.
    Ruhig und behaglich war es in diesem
sauberen Laden, Frische stieg von den gescheuerten, noch feuchten
Fußböden auf, durch das steinerne Viereck der geöffneten Tür drang die
gedämpfte Wärme des Sommertages herein, man hörte das feine Klopfen der
Goldschmiedhämmerchen, wie in einem Kinderspiel, wie im Traum. Vor meinen Augen
lag das Halbdunkel des aus Ziegeln errichteten gewölbten Ladenraumes, grünlich
vom Schatten eines dichtbelaubten Baumes auf der Gasse gleich dem ruhigen Abglanz
tiefen Wassers. Ich fühlte mich wohl, angenehm, sicher. Während Hasan von Ali
Hodscha erzählte, wußte ich, er würde nichts von mir sagen, ich fürchtete weder
Verrat noch Unvorsichtigkeit. Frieden senkte sich auf mich, wie Blütenstaub,
wie Sommertau – dieser beiden Menschen wegen. Sie waren zwei schattenspendende
Bäume, zwei klare Quellen. Es war entweder Täuschung, oder meine Erinnerung hat
sich in Duft verwandelt, aber mir scheint, ich hätte in der Tat einen frischen
und milden Duft wahrgenommen, der von ihnen ausging. Ich weiß nicht, wonach –
nach Kieferholz, nach Waldgras, nach einem sanften Frühlingswind, nach einem
Bajram-Morgen, nach etwas Liebem und Reinem.
    Lange hatte ich nicht eine solche
stille Zufriedenheit gefunden, wie sie mir diese beiden Männer schenkten.
    Ihre Mondscheinheiterkeit, ihre
Freundschaft ohne Ausrufe und schmückende Worte, ihre Befriedigung über alles,
was sie voneinander wußten, veranlaßten auch mich, zu lächeln, freilich nicht
besonders klug, da sie in mir jene schlummernde oder ersehnte Zuneigung
weckten, die wir beim Anblick von Kindern empfinden. Ich fühlte mich auf einmal
wie beflügelt, leicht, ohne Spur jener tückischen Schwere, die mich lange
niedergedrückt hatte.
    „Ich werde dich verheiraten, damit
du Ruhe findest", meinte der alte Mann zärtlich und vorwurfsvoll, und
gewiß sagte er das nicht zum ersten Male. „Los, tu's, böser Mann!"
    „Ist mir zu früh, Hadschi. Ich bin noch
nicht mal fünfzig. Und noch viele Landstraßen warten auf mich."
    „Hast du nicht bald genug,
Landstreicher! Die Söhne sind um uns, solang wir stark sind, und sie verlassen
uns, wenn wir sie brauchen."
    „Laß die Söhne ihren eigenen Weg
gehen."
    „Ich laß sie auch, Landstreicher.
Aber darf ich nicht mal drum trauern?"
    Da hörte ich auf zu lächeln. Ich
wußte, sein Sohn lebte in Stambul. Vielleicht hatte er seinetwegen begonnen,
sich um die Gefangenen zu kümmern: damit er den Kummer darüber vergesse, daß er
den Sohn jahrelang nicht sieht. Vielleicht hatte er sich deshalb an Hasan
angeschlossen – er erinnerte ihn an den Sohn.
    „Da hast du's", meinte Hasan zu
mir gewandt, den alten Mann im Scherz beschuldigend, „er beklagt sich, daß sein
Sohn hohe Schulen besucht hat und nicht hier in der Werkstatt fremdes Gold
hämmert, daß er in Stambul wohnt und nicht in einer trübseligen Provinzstadt,
daß er ihm Briefe voller Ehrerbietung schickt und kein Geld verlangt, das er
für Würfelspiel und Dirnen hinauswirft.
Sag ihm, Scheich Nurudin, er soll sich nicht versündigen."
    Meine Rührung war mit einemmal
verschwunden. Was Hadschi Sinanudin darauf antwortete oder antworten konnte;
daß ein Glück in fremder Welt zweifelhaft sei, daß wichtiger als alles die
Liebe und die menschliche Wärme denen sei, die füreinander ihr Blut hingäben –
das konnte mich an den Vater und an den Bruder erinnern. Es konnte, aber es erinnerte
mich nicht. Daß Hasan sich an mich wandte, zum erstenmal in dem ganzen
Gespräch, ohne Not, nur aus Aufmerksamkeit, damit ich nicht ganz ausgeschlossen
bliebe, das sagte mir plötzlich, daß ich hier überflüssig sei, daß die beiden
einander genügten.
    Eben war ich noch sicher gewesen,
Hasan würde das Unrecht nicht erwähnen, das mir Ali Hodscha angetan hatte, daß
ich wußte, er würde mich schonen. Jetzt aber meinte ich, in ihrem Gespräch sei
gar kein Platz für mich gewesen. Die verspätete

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