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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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einem frommen Gaul,
mit Wunden am Hintern, unterm Tor eines anderen Reiches einzufinden."
    „Nicht gerade ruhmvoll."
    „Wunden sind Wunden, alter
Derwisch."
    „Die Stelle ist einigermaßen
unziemlich."
    „Eine Stelle wie jede andere. Du
kannst nicht auf dem Kopf reiten, manchem würde das seltsam vorkommen. Es sähe
aus wie Aufruhr. Also, abgemacht?"
    „Jawohl. Ich geh nirgendwohin."
    „Uch! Du gleichst mir einem
launischen Mädchen, bei dem man nie weiß, woran man ist. Nun denn, du bärtiges,
wetterwendisches Mädchen, scheinst also fest entschlossen, unentschlossen zu
bleiben. Wenn du aber deine Meinung änderst, wenn du genug davon hast, immer
mit ein und demselben Gedanken zu ringen, wie mit dem schwarzen Dämon, dann
such mich auf, du weißt, wo du mich findest."
    Ich wollte nicht fort aus der Stadt,
nirgendwohin. Früher einmal hatte ich fortgehen wollen, auf unbekannten Wegen
schweifen. Aber das war leere Träumerei gewesen, ein ohnmächtiger Wunsch nach
Befreiung, der Gedanke an das, was nicht sein kann. Jetzt regte sich der Wunsch
nicht mehr. Mich hielt dieser Ort, er hielt mich mit dem Unglück, das mich getroffen
hatte. Es spießte mich fest, wie mit einer Lanze. Mir blieben wenige Gedanken,
wenig Bewegung, wenige Wege. Ich saß im Garten, in der Sonne, oder im Zimmer,
über einem Buch, oder ich ging am Fluß spazieren, wohl wissend, daß ich es aus
Gewohnheit, willenlos, ohne Genuß tat. Aber ich ertappte mich immer öfter
dabei, wie ich mich in der Sonnenwärme, bei dem, was ich las, am schillernden
Wasser behaglich fühlte. Das begann alltäglich zu werden, sogar schön,
beruhigend. Ich schien in der Tat zu vergessen, in mir herrschte Ruhe. Und
dann, manchmal, ganz unerwartet, ohne sichtlichen Anlaß, ohne hervorrufenden
Gedanken, durchfuhr es mich heiß wie ein Stich, wie ein quälender heimlicher
Schmerz, wie ein Krampf. Was ist das?, fragte ich mich, stellte mich
überrascht, hatte Angst, diese unerwünschte Empörung anzuerkennen, erstickte
sie mit Kleinigkeiten, die sich in Reichweite der Hände oder der Gedanken
fanden.
    Auf etwas aber wartete ich.
    Meine Gemütsverfassung war
unbestimmbar, veränderlich, wie die eines Menschen, der weder gesund noch krank
ist und den nur gelegentlich zutage tretende Krankheitszeichen schwerer treffen
als ständig bleibende.
    Aus diesem peinigenden Zustand riß
mich der Haß. Er belebte und stärkte mich, indem er eines Tages, eines
Augenblicks wie eine Flamme aufschlug. Er schlug auf, sage ich, denn bisher
hatte er unter der Asche geglommen, und er züngelte, wütend ob der Beengung,
mit seiner Glut mein Herz versengend. Er hatte in mir gelegen, bestimmt seit
langem, ich hatte ihn wie ein Wetterlicht in mir getragen, wie eine Schlange,
wie ein Geschwür, das jetzt aufbrach, und ich wußte nicht, wie es geschah, daß
der Haß sich bis zu diesem Augenblick versteckt gehalten, in mir geruht und
geschwiegen hatte, freilich auch nicht, warum er sich jetzt bei einer
Gelegenheit offenbarte, die nicht günstiger als andere, frühere war. Er war in
der Stille gereift, so wie jedes Empfinden, und trat nun, stark und mächtig,
lange vom Warten genährt, ins Leben.
    Höchst merkwürdigerweise befriedigte
mich die Feststellung, daß er sich nun unerwartet zeigte, während ich ihn doch
schon früher in mir gespürt, freilich so getan hatte, als ließe ich ihn nicht
gelten. Früher hatte ich gebangt, hatte gewünscht, er möge nicht erstarken,
jetzt aber erstarkte ich durch ihn, ich hielt ihn vor mich wie einen Schild,
wie eine Waffe, wie ein schützendes Feuer, war trunken von ihm, wie jemand von
der Liebe trunken sein kann. Ich hatte zu wissen vermeint, was das sei, doch
alles, was ich früher für Haß gehalten hatte, war sein leerer Schatten gewesen.
Was mich jetzt gefaßt hatte, lebte in mir als eine düstere und schreckliche
Kraft.
    Ich werde langsam, ohne Hast
berichten, wie das geschah. Es geschah wahrhaftig wie ein Erdbeben.

12
    Heißet nicht Tote, die auf Gottes Wegen gefallen sind.
    Wir waren unterwegs, Hasan und ich, zum Goldschmied
Jusuf Hadschi Sinanudin [26] ; Hasan zog mich immer mit sich fort, überallhin, zu
dieser Zeit wußte ich schon, daß wir Freunde sind und daß mir seine Nähe
angenehm ist. Das war nicht mehr das Bedürfnis nach Schutz, sondern das
Bedürfnis nach menschlicher Vertrautheit – ohne irgendeinen anderen Nutzen.
    In der Goldmachergasse begegnete uns
Ali Hodscha, in alten,:albgerissenen Kleidern, in abgetragenen Hausschuhen,
eine

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