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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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aber liebte keine
Scherze, er liess sich auch durch diese gespielt naive Deutung nicht beirren.
Er zeigte keine Ungeduld wegen der Einmischung, auch keinen Zorn wegen des
unverhohlenen Spotts, nicht einmal Verachtung, für die er in seiner Stellung
nie einen Grund zu suchen brauchte, er blickte Hasan nur mit seinen
unbeweglichen, schweren Augen an, von denen nicht einmal seine eigene Frau
würde sagen können, sie seien sanft, und wandte sich dann zu Hadschi Sinanudin:
    „Wie du willst, mich betrifft es
nicht. Ich meine nur, manchmal ist es billiger, zu zahlen."
    „Es geht mir nicht darum, was billig
ist, sondern ob es zu Recht geschieht."
    „Das Recht kann teuer sein."
    „Das Unrecht genauso."
    Dann, einen langen Augenblick,
musterten sie einander, ich sah nicht die Augen des Muselims, doch ich wußte,
wie sie blickten, der alte Mann aber lächelte sogar, liebenswürdig und
gutmütig.
    Der Muselim wandte sich um und
verließ den Laden.
    Ich wollte sobald wie möglich auf
die Gasse hinaus, die Luft, die er geatmet hatte, würde mich ersticken, und
wahnsinnig machen würden mich die spottenden Worte, die die beiden nun sprechen
würden.
    Doch immer von neuem überraschten
mich diese Männer.
    „Nun?" fragte der Alte, dem
Muselim nicht einmal nachblickend. „Hast du dir's anders überlegt?"
    „Nein."
    „Hasans Wort wie Sultans Wort – es
wird nicht zurückgenommen. Nichts will mir heute gelingen."
    Er lächelte, als billige er Hasans
Ablehnung, und brachte das Gespräch zum Ende.
    „Wann kommst du wieder? Allmählich
hasse ich meine eigenen wie die fremden Geschäfte – sie trennen mich von den
Freunden."
    Kein Wort vom Muselim! Als wäre er
gar nicht im Laden gewesen, als wäre ein Bettler dagewesen und hätte um Almosen
gebeten! Sie hatten ihn vergessen, sofort, kaum daß er über die Schwelle war.
    Ich war verblüfft. Was für ein Stolz
– Čaršijastolz, Herrenstolz, der das, was er verachtet, so vollkommen
abtut? Wieviel Jahre muß der Mensch hinter sich haben, wieviele Geschlechter
müssen ihm vorangegangen sein, damit er in sich den Wunsch, zu schmähen, zu
bespucken, zu verlästern, erstickt? Mir war nicht einmal aufgefallen, daß sie
es absichtlich täten oder sich mit Mühe beherrschten. Sie hatten ihn
ausgelöscht, ganz einfach.
    Mir war beinahe, als hätten sie auch
mich gekränkt. Konnte man denn so über diesen Menschen hinweggehen? Er
verdiente mehr, über ihn mußte man nachdenken. Gerade ihn zu vergessen, ihn
auszulöschen, das war unmöglich.
    „Wie kommt es, daß ihr kein einziges
Wort über den Muselim gesprochen habt, als er hinaus war?" fragte ich
Hasan auf der Gasse.
    „Was gäbe es über ihn zu
sprechen?"
    „Er hat gedroht, beleidigt."
    „Er kann unglücklich machen, aber er
kann nicht beleidigen. Man muß mit ihm rechnen wie mit einer Feuersbrunst, wie
mit einer möglichen Gefahr, das ist alles."
    „Du redest so, weil er dir nichts
Böses angetan hat."
    „Vielleicht. Aber du warst
aufgeregt. Warst du erschrocken? Der Tabak rieselte dir durch die Finger."
    „Ich war nicht erschrocken."
    Er blickte mich an, vielleicht von
meiner Stimme überrascht.
    „Ich war nicht erschrocken. Mir kam
alles in den Sinn."
    Mir war alles in den Sinn gekommen,
weiß Gott zum wievielten Male, doch anders als jemals früher. Ich war
aufgeregt, als er hereinkam und während er mit Hadschi Sinanudin sprach, keinen
einzigen meiner Gedanken konnte ich genauer fassen, keinen konnte ich
festhalten, sie jagten mir durch den Kopf, aufgescheucht, verwirrt, ineinander
verflochten, heiß vom Erinnern, vom wunden Herzen, vom Zorn, vom Schmerz, bis
er mich mit einem kalten, konzentrierten Blick streifte, der gesättigt war mit
Geringschätzung, mit Verachtung – ganz anders als der Blick, mit dem er die
beiden ansah. Da, in diesem Bruchteil einer Sekunde, als unsere Blicke einander
berührten wie zwei scharfe Messerklingen, konnte es geschehen, daß in mir die Angst
überwog. Sie rührte sich schon, umspülte mich unvermittelt wie heranflutendes
steigendes Wasser.
    Auch früher hatte ich schwere
Augenblicke erlebt, den Widerstreit entgegengesetzter Ansichten in mir, hatte
die Schroffheit der Triebe mit der Vorsicht der Vernunft ausgesöhnt, aber ich
weiß nicht, ob ich mich je, wie in diesem Augenblick, in einen Kampfplatz so
gegensätzlicher Bestrebungen verwandelt hatte, ob je solche Scharen
streitlustiger Wünsche in mir zum Durchbruch gedrängt hatten, zurückgehalten
nur von Feigheit und Angst. Du hast

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