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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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und rechtfertigte damit unbewußt meine Loslösung von ihnen. So ist
es besser, ohne wohlklingende Worte, ohne leeres Lächeln, ohne Trug. Alles ist
schön, solange wir nichts verlangen, aber gefährlich ist es, Freunde auf die
Probe zu stellen. Der Mensch ist nur sich selbst treu.
    Während ich so, andere anschwärzend,
meine eigene Unruhe beschwichtigte, ohne Befriedigung und ohne Schadenfreude,
verdüsterte sich der Laden, die hellblauen Schatten wurden schwarz.
    Ich wandte mich um – im steinernen
Viereck der Tür stand der Muselim.
    „Tritt ein", sagte Hadschi
Sinanudin einladend, ohne sich zu erheben. Hasan erhob sich, ruhig, ohne Hast,
und wies ihm den Platz.
    Ich rückte, ohne die geringste
Notwendigkeit zur Seite und verriet damit meine Verwirrung. Zum erstenmal nach
Haruns Tod sah ich ihn aus der Nähe. Ich hatte nie gewußt, wie diese erste
Begegnung ausfallen würde, ich wußte es auch jetzt nicht, während ich ihn
ansah, aufgeregt, den Blick immer wieder auf ihn lenkend, von Hasan, von
Hadschi Sinanudin, von meinen Händen auf ihn, verwirrt und erschrocken, nicht
vor ihm, sondern vor mir, denn ich wußte nicht, was geschehen würde, ob mich
die bohrende Wunde in mir auf die schlimmste Weise und im schlimmsten
Augenblick gegen ihn schnellen würde oder ob die Angst mich triebe, ihm
untertänig zuzulächeln, im Gegensatz zu allem, was ich fühlte, und obgleich
ich mein Leben lang mich selbst dafür verachten würde. Ich verlor die Fassung,
spürte ein Zittern in der Herzgrube, qualvoll drängte sich das Blut durch die
Adern. Ich nahm die Tabaksdose, die mir Hasan reichte (bemerkte er denn meine
Unruhe?), und kaum, daß ich den Deckel geöffnet hatte, griff ich nach den
dünnen gelben Hälmchen und verstreute sie mit zitternden Fingern über meinem
Schoß. Hasan nahm die Dose, stopfte den Tschibuk und reichte ihn mir, ich sog
den scharfen Rauch ein, zum erstenmal im Leben, mit der einen Hand hielt ich
die andere fest, ich wartete, daß er mich ansehe, daß er mir etwas sage, und
fühlte, wie mir der Schweiß aus allen Poren brach.
    Er wolle sich nicht setzen, sagte er
zu Hadschi Sinanudin, er sei zufällig vorbeigekommen, habe hereingeschaut, und
da sei ihm der Gedanke gekommen, ihn etwas zu fragen.
    (Der Blutandrang ließ nach, ich
atmete leichter, blickte auf ihn unter gesenkten Lidern hervor, er ist noch
finsterer, dachte ich, noch häßlicher als damals, obgleich ich bezweifle, daß
mir je in den Sinn gekommen war, er sei finster und häßlich.)
    Es sei zwar nicht seine
Angelegenheit, aber man habe ihm gesagt, Hadschi Sinanudin wolle nicht das
Seferi-Imdadije zahlen, die Kriegshilfe, die auf Geheiß des Sultans erhoben
werde, und darum zögerten nun auch andere, wenn aber angesehene Männer wie er,
Hadschi Sinanudin, nicht ihre Pflicht erfüllten, was könnte man dann von den
übrigen erwarten, den Fressern und Raffern, denen Vaterland und Glauben nichts
bedeuten und die alles zugrunde gehen ließen, wenn nur ihre Münzen unangetastet
im Beutel blieben. Er hoffe, bei ihm, Hadschi Sinanudin, sei das zufällig geschehen, er habe es vergessen oder
versäumt und werde es bald, ja sogleich nachholen, damit es kein unnötiges Hin
und Her gebe, von dem keiner einen Nutzen habe.
    „Es ist nicht zufällig
geschehen", antwortete Hadschi Sinanudin ruhig, ohne Furcht und ohne Trotz
– geduldig hatte er den Muselim erst ausreden lassen. „Nicht zufällig, und
ich habe es auch nicht vergessen oder versäumt, vielmehr werde ich es nicht
geben, wenn es nicht zu Recht geschieht. Der Aufstand in der Posavina ist kein
Krieg. Warum soll dann Kriegshilfe gezahlt werden? Und das Gebot des Sultans,
von dem du sprichst, betrifft nicht diesen Fall, man muß die Antwort der Hohen
Pforte auf das Gesuch abwarten, das die angesehensten Männer nach Stambul
geschickt haben, und alle denken dasselbe, und keiner richtet sich bloß nach
dem andern; wenn der Sultan aber entscheidet, daß wir zahlen müssen, so werden
wir zahlen."
    „Hadschi Sinanudin Aga möchte sagen,
das sicherste sei es, dem Willen des Sultans zu gehorchen, wenn sie aber jetzt
zahlten, so täten sie es eigenmächtig und ungesetzlich, Eigenmacht und
Ungesetzlichkeit wiederum schaffen Unordnung und Verwirrung", mischte
sich Hasan ein, indem er von der Seite her zwischen die beiden trat, mit
ernstem Gesicht, die Arme über der Brust gekreuzt, in freundlicher
Bereitschaft, dem Muselim die Dinge genau zu erläutern, falls er es nicht
begriffen hätte.
    Der Muselim

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