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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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starrköpfiger Zwist rechtfertige diese Liebe,
mache sie zu dem, was sie sei. Hätte es sie seit eh und je gegeben, so wäre sie
verblaßt, verblichen. Und hätte nicht die Sehnsucht nach ihr bestanden, so wäre
sie vertrocknet. Anfangs berührte mich ihre Liebe nicht, ich blieb ihr
gegenüber kalt, sogar mißmutig. Was willst du eigentlich, Alter?, sprach ich
erbost in Gedanken. Muß denn alle Welt deine Liebe sehen? Und ist es denn
schwer, sie so zu zeigen? Leichter ist es, zu seufzen und zu jammern, als zu
schweigen. Und was ist deine Liebe? Eine greisenhaft weichliche Stimmung,
Furcht vor dem Tode, der Wunsch nach Verlängerung des Lebens, Selbstsucht, die
sich an die Kraft eines anderen hält, die Macht der Blutsgemeinschaft. Und
wofür? Für die Wonne, ein wenig Gewalt zu üben, und dafür, daß man, wenn alles
andere entgleitet, hilflos die Hände des Sohnes halten kann.
    Aber umsonst wehrte ich mich,
umsonst war das Angreifen und Geringschätzen. Diese Liebe bezwang mich. Ich
ertappte mich dabei, wie ich an meinen eigenen Vater dachte und versuchte, ihn
mir näherzurücken. Wäre es möglich, daß ich voll Freude ein Wort aus seinem
Mund erwartete, daß ich mich ängstigte, wenn er krank wäre, daß ich seinetwegen
all dem entsagte, was mir teuer ist? Ich versuchte mich hineinzuleben. Vater,
flüsterte ich. Ich preßte alle Qual des Lebens aus mir heraus, um durch Mitleid
den Drang nach Liebe aufzureizen. Vater, Lieber. Doch ein anderes Wort fand ich
nicht, es gab kein Band der Zärtlichkeit zwischen uns. Vielleicht bin ich darum
benachteiligt; immerhin ist diese Bindung an den Nächsten ein Wesensmerkmal des Menschen.
Vielleicht nahm ich die Freundschaft, die mir Hasan bot, so freudig wie ein
Dürstender an, um dieses menschliche Bedürfnis, das stärker ist als die
Vernunft, zu befriedigen.
    Anfangs zeigte sich der alte Mann
mir gegenüber mißtrauisch. Er versuchte, über belanglose Dinge zu sprechen,
aber die unnützen Worte würgten ihn, es gelang ihm nicht, zu lügen. Verwundert
bemerkte ich, wie sehr ihm Hasan glich, nur daß Hasan abgeschliffen,
verfeinert, empfindlicher war.
    „Du bist ein seltsamer Mensch",
sagte mir der Alte. „Du redest wenig, du versteckst dich."
    Ich beeilte mich, ihm zu erklären,
das sei vielleicht ein mir angeborener Zug, den ich in unserem Orden noch
gefestigt hätte. Und wenn manches an mir seltsam erscheine, so sei das
wahrscheinlich die Folge dessen, was mir widerfahren war.
    „Du versteckst dich hinter den
Worten. Ich kann nicht sehen, was in dir ist. Da hat dich nun ein Unglück
getroffen, sie haben dir zugesetzt, wie es schlimmer gar nicht geht, und dabei
habe ich von dir kein Wort des Verdammens, kein Wort der Klage gehört. Aber
über den Bruder hast du gesprochen."
    „Was mich getroffen hat, ist zu
schwer, als daß ich darüber sprechen könnte. Ich kann es nur dem sagen, der mir
wie ein Bruder ist."
    „Hast du so einen gefunden?"
    „Ja."
    „Entschuldige, ich frage nicht
meinetwegen."
    „Ich weiss. Wir sind beide an ihn
gebunden, du mehr – mit dem Band des Blutes  und der Vaterschaft, ich durch eine Freundschaft, die stärker ist als alles, was der Mensch ohne Sünde empfinden
kann."
    Wäre es nötig gewesen, ich hätte ihn
auch täuschen können, und zwar leicht, denn die Erwähnung des Sohnes schläferte
seine Listigkeit, seine gewitzte Vorsicht ein. Aber es war nicht nötig, ich
dachte wirklich so. Und daß ich so feierlich gesprochen hatte, das geschah des
alten Mannes wegen, es sollte recht schön klingen, und es sollte ihm die Angst
vor Menschen nehmen, die sich verstecken.
    Des Sohnes wegen hatte er mich
belauert, des Sohnes wegen nahm er mich auf. Listigkeit und Vertrauen wuchsen
aus derselben Wurzel.
    Dass Hasan fern war, brachte uns
darauf, ein Märchen von ihm zu dichten. Es war einmal ein Königssohn.
    Hasan selbst aber redete
seltsamerweise meistens von seinen Niederlagen, ohne Bedauern, lachend. Nach
dem Gesetz jedoch, daß der Gedanke den Gegengedanken in sich birgt – wofür
Hasan einen sehr feinen Spürsinn hat –, erschienen seine Niederlagen weder
schwer noch überzeugend. Durch den Zauber seiner heiteren Offenheit
verwandelten sie sich sogar in Erfolge, von denen er nicht weiter sprechen
mochte und die ihm nicht besonders am Herzen lagen.
    Später versuchte ich, das Märchen
von der Wirklichkeit zu trennen, aber mochte ich auch die Wahrheit wissen, es
wollte mir kaum gelingen, mich von der Behexung zu befreien, in die wir uns

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