Der Derwisch und der Tod
es ist mir gleich, ich hätt's sogar
lieber, wenn es so wäre, dann würde sich wenigstens nicht das morsche
Geschlecht des Kadis fortsetzen; freilich, wer sie kennt, wird das kaum
annehmen. Sie läßt sich von keinem bezwingen, aus Stolz und der Gefahr wegen.
Höchstens daß sie ihn hinterher umbrächte. Aber es war nichts zu hören, daß
jemand umgebracht worden wäre. Und warum ist sie gekommen und hat mir's gesagt?
Schwindeln hätte hier keinen Sinn, es kommt ja doch heraus. Sie war sicher, mir
eine Freude zu bereiten. Hab ich mich gefreut?"
„Ich weiß nicht. Du hast ihr nichts
geschenkt."
„Siehst du. Ich habe ihr nichts
geschenkt, und du hast mir nicht gratuliert, etwas stimmt hier nicht."
„Du warst sicher zu aufgeregt und
hast es deshalb vergessen."
„O ja, aufgeregt war ich. Hätte
ich's aber fest geglaubt, so hätte ich's auch nicht vergessen. Mehr Sorge als
Freude hat sie mir bereitet. Ich verstehe das nicht."
„Warum Sorge?"
„Sie will etwas, ich weiß nur nicht,
was."
Als ich tags darauf vom
Nachmittagsgottesdienst zu ihm ging, empfing er mich ungewöhnlich lebhaft,
unnatürlich heiter, er bot mir Äpfel und Trauben an, die ihm die Tochter
geschickt hatte. „Sie hat angefragt, was ich mir von ihr wünschte, und auch ich
hab ein Geschenk geschickt, eine Kette mit Goldmünzen."
„Das hast du recht getan."
„Gestern war ich verwirrt. Die ganze
Nacht hab ich nicht geschlafen, nur nachgedacht, nachgedacht. Warum sollte sie
lügen, was hätte sie davon? Wenn es um den Besitz geht – sie weiß doch, daß
auch sie ihren Teil bekommt, ich werd's nicht in die andere Welt mitnehmen.
Vielleicht ist auch mein Schwiegersohn, der Unglücksmensch, der Kadi, vor dem
Aushauchen noch einmal aufgeflammt wie eine Kerze und hat das einzige gute
Werk im Leben vollbracht. Oder Allah hat es auf andere Weise gefügt, für
jegliche sei ihm Dank, auf jeden Fall glaube ich, daß es stimmt, ich kann mir
keinen Grund denken, weswegen sie gelogen hätte."
„Auch ich
nicht."
„Auch du nicht? Siehst du! Mich
hätte noch die Elternliebe täuschen können, dich aber nicht."
Er glaubte es, weil er es glauben
wollte, Hasan aber würde wegen dieses Großvaterglücks noch manches auszustehen
haben, mochte es sein, wie es wollte.
Ich hatte die Absicht, länger bei
Alijaga zu bleiben, er war sehr aufgeregt von der Nachricht, die ihm die
Tochter gebracht hatte und an die ich nicht glaubte, was ich ihm freilich nicht
sagen würde, und aufgeregt war er, weil er Hasan bald zurück erwartete, was
auch mein Herz beklommen machte, wenn es mir einfiel. Doch da erschien Mula
Jusuf und brachte eine Nachricht, die mich in die Tekieh rief: dort warte auf
mich der Oberst Osman Beg, auf dem Durchzug mit seinem Regiment, und er wolle in
der Tekieh übernachten.
Der Alte
hörte das mit Interesse.
„Der
berühmte Osman Beg? Kennst du ihn?"
„Ich habe
nur von ihm gehört."
„Wenn es bei dir zu eng ist und wenn
der Oberst es will, so lad ihn in meinem Namen ein, hierherzukommen. Wir haben
große Räume, genug Platz für ihn wie für seine Begleiter. Es wäre eine Ehre für
mein Haus, wenn er mein Gast sein wollte."
Er bot seine Gastfreundschaft, wie
es der Sitte entsprach, aber er drückte sich feierlich, altertümlich aus. Er
hatte eine Schwäche für berühmte Leute, darum hatte er auch Hasan gegrollt:
weil er nicht berühmt wurde.
Doch plötzlich überlegte er es sich
anders: „Vielleicht ist es besser, er bleibt in der Tekieh. Fazlija ist
unterwegs zu Hasan, Zejna hat mit mir genug zu tun, ich könnte ihn doch nicht
empfangen, wie es sich gehört."
Ich wußte, warum er sein Angebot
zurücknahm: Hasans wegen.
Ich beruhigte ihn: „Ich glaube auch
nicht, daß er käme. Die Männer im Staatsdienst kehren in der Tekieh ein, wenn
sie an einem Ort keinen kränken wollen. Oder wenn sie keinem trauen."
„Und wo
bringt er die Soldaten unter?"
„Ich weiß
nicht."
„Sag ihm
nichts. Vielleicht wäre es auch Hasan nicht recht, wenn der Oberst in unserem
Hause übernachtete. Und auch mir wäre es nicht recht", fügte er hinzu, großmütig
mit dem Sohn übereinstimmend. „Wenn du etwas an Bettzeug, Nahrung, Geschirr
brauchst – schick jemanden her."
„Kann einer von den Derwischen bei
dir übernachten, wenn es nötig wird?"
„Ihr könnt
alle kommen."
Auf der Gasse begegnete ich Jusuf
Sinanudin, dem Goldschmied. Er war unterwegs zu Alijaga, wie jeden Abend, doch
jetzt stand er an einer Wegkreuzung, als horchte er auf etwas.
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