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Der Derwisch und der Tod

Der Derwisch und der Tod

Titel: Der Derwisch und der Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meša Selimović
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Er ging weiter,
als er mich erblickte. „Du hast einen berühmten Gast", sagte er, seltsam
zerstreut.
    „Man hat es mir eben gemeldet."
    „Frag ihn nach seinem Befinden. Ruhm
hat er erworben, indem er gegen die Feinde des Reiches kämpfte, und jetzt
zieht er aus, unsere Landsleute zu töten. In der Posavina. Eine häßliche
Wendung auf seine alten Tage. Besser, er wäre rechtzeitig gestorben."
    „Nicht meine Sache ist es, das zu
fragen, Sinanudin Aga."
    „Das weiß ich, auch ich würde es
nicht tun. Aber es fällt einem schwer, nicht daran zu denken."
    An einem Hoftor hielt er inne, es
schien mir, als horchte er.
    Hafiz Muhamed und Mula Jusuf
schickte ich für die Nacht zu Alijaga, ich richtete mich in Hafiz Muhameds
Zimmer ein, das meine gab ich Osman Beg, und in Mulas Jusufs Zimmer wurden die
Wächter untergebracht.
    Der Anblick des Obersten überraschte
mich: so alt war er, weißbärtig, müde, schweigsam. Doch er war nicht grob, wie
ich es erwartet hatte. Er entschuldigte sich, daß er mir Ungelegenheiten mache,
aber in der Stadt kenne er keinen, und er habe gemeint, es sei wohl das
günstigste, in die Tekieh zu kommen – das günstigste für ihn, gewiß aber nicht
für uns, wiederum hoffe er, daß wir an unverhoffte Gäste gewöhnt seien, und er
werde nur diese Nacht bleiben, am frühen Morgen wolle er weiterziehen. Gewiß
könne er auch mit den Soldaten übernachten, auf dem Felde, aber in seinen Jahren
schlafe er lieber unter einem Dach. Er habe auch daran gedacht, den hiesigen
Goldschmied Jusuf Hadschi Sinanudin aufzusuchen, mit dessen Sohn sei er
befreundet, aber er wisse nicht, wem das dann recht und wem es unrecht sei, und
darum habe er sich so entschieden. Freilich hätte er dem Goldschmied eine
Nachricht über seinen Sohn zu bringen: Unmittelbar bevor er, der Oberst,
hierher aufgebrochen sei, habe man Hadschi Sinanudins Sohn zum Silahdar des
Sultans ernannt. Ich könne es ihm ja bestellen, vielleicht würde sich Hadschi
Sinanudin darüber freuen.
    „Ganz gewiß würde er sich
freuen!" erwiderte ich, beinahe erstarrt. „Keiner aus unserer Stadt hat je
ein so hohes Amt erreicht."
    Der Feldherr aber hatte alle seine
Worte und alle Aufmerksamkeit verbraucht, und er schwieg – müde, ohne ein
Lächeln, nur noch darauf bedacht, allein zu bleiben.
    Ich ging in mein Zimmer und stellte
mich ans Fenster, hell wach und mächtig aufgewühlt.
    Silahdar des Sultans, einer der
mächtigsten Männer im Türkischen Reich!
    Ich weiß nicht, warum mich die
Nachricht so erregte, früher wäre es mir gleichgültig gewesen, vielleicht hätte
ich ihn auch bedauert. Jetzt vergiftete es mich beinahe. Wohl ihm, dachte ich,
wohl ihm! Jetzt ist die Stunde gekommen, da er es seinen Feinden heimzahlen
wird, und bestimmt hatte er Feinde. Auch sie bangen jetzt, warten darauf, daß
sich seine Hand auf sie legen werde, die
Hand, die über Nacht bleischwer geworden war und viel Sterben in sich birgt.
Man möchte es nicht glauben, es gleicht einem Traum, einem Gaukelspiel, allzu
schön. Mein Gott, welch ein Glück, das alle Begriffe übersteigt – handeln zu
können! Armselig ist der Mensch, der nichts als den Gedanken hat, dessen
Sehnsucht in den Wolken schwebt. Die Ohnmacht erniedrigt ihn. Der Silahdar Mustafa
schläft nicht heute abend, ebensowenig wie ich, in ihm ist alles aufgewühlt von
dem Glück, an das er sich noch nicht gewöhnt hat, unter ihm liegt Stambul, im
Mondlicht, still geworden, in Gold gefaßt. Wer bleibt noch schlaflos in dieser
Nacht, seinetwegen? Alle kennt er sie, auswendig, besser als seine
Blutsverwandten. Wie ist euch zumute, fragt er leise, ohne Ungeduld, wie fühlt
ihr euch heute abend? Nicht ihretwegen hat das Schicksal ihn emporgehoben,
nicht darum, daß er sie strafe oder in Furcht versetze, wichtigere Aufgaben
harren seiner, aber gerade dieser Aufgaben wegen kann er sie nicht in Ruhe
lassen. Oh, auch des Hasses wegen, gewiß. Es kann nicht sein, daß er keinen Haß
spürt, kann nicht sein, daß er keinen in sich versteckt gehalten, in sich
getragen hat, wie ein Gift im Blut, es kann nicht sein, daß er auf diese Nacht
nicht gewartet hätte wie auf etwas Heiliges: die Gelegenheit, heimzuzahlen für
alles Böse und für die einstige Ohnmacht.
    In dieser Nacht existierte ich
doppelt, ich wußte, wie mächtig der Triumph des Silahdars war, ich spürte ihn
sogar, als wäre es der meine, und ich fühlte mich noch bedrückter, weil meine
Wünsche nichts als Luft waren und ein Licht, das nur mich

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